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Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Titel: Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Jacobs
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Schokolade« heißen.
    »Sofort wegmachen!«, forderte er mit einer Handbewegung.
    Am liebsten hätte ich mich mit ihm geprügelt. Eine Stunde hatte ich damit zugebracht, in Schreibschrift, mit Mustern, Schattierungen und kleinen Zeichnungen öde Worte wie Kaffee und Schokolade zu »gestalten«.
    Wir durften auch unsere Musik nicht spielen, sondern nur die vorgegebenen CDs einlegen, und wehe, ich drehte beim Anrichten den Tassenhenkel nach links und legte den Löffel andersherum. Vorschrift war, die Tasse so zu drehen, dass die Rechtshänder mit der rechten Hand die Tasse anheben und mit dem Löffel in der Linken den Schaum umrühren konnten.
    »Sie haben die Vorschriften zu befolgen!«, sagte der Vorgesetzte schroff.
    »So«, sagte ich.
    Er sah mir nicht in die Augen.
    Ich ging zur Chefin und erklärte ihr, ich hätte keine Lust mehr, Vorschriften zu befolgen.
    »Was ist denn los?«, fragte sie besorgt.
    »Ich muss weiter. So wird ja nie was aus mir.«

    Obwohl ich fast täglich schrieb und Bücher las, kam es mir niemals in den Sinn, dass Schreiben etwas war, das ich gut konnte und womit ich mein Brot verdienen könnte. Doch wann immer ich eine englische oder amerikanische Modezeitschrift durchblätterte, sah ich mir die Porträts der »Contributors« ganz genau an und las ihre außerordentlichen Kurzbiographien, die vom rasanten Aufstieg erzählten, aufmerksam durch. Beim Betrachten der markanten, intellektuellen Gesichter dachte ich mir immer: »Einmal in der Liste der Contributors zu stehen – das wäre toll.«
    Und so kam ich darauf, dass ich mich ja bei einer Zeitung in Zürich an den Kopierer stellen könnte, um zu volontieren. Eine Freundin sagte mir, dazu bräuchte ich kein Abitur. Ich würde vielleicht auch mal einen kleinen Beitrag schreiben dürfen und es wäre als eine Art Lehre auch eine von meinen Eltern akzeptierte Form des Schreibens.
    Mit diesem Vorhaben ging ich zur Berufsberaterin und erläuterte meinen durchdachten Plan. Sie machte Tests mit mir, analysierte meine Schrift, bestätigte zum hundertsten Mal, dass ich weder rechnen noch analytisch denken konnte, und erläuterte ihren Plan im Abschlussgespräch meiner Mutter. Die beiden Frauen waren der Meinung: für den Journalismus sei ich nicht geeignet. Ohne Abitur bräuchte ich mir draußen keine Hoffnungen zu machen.
    Vor den Kopf gestoßen verließ ich das Beratungszimmer, mein Gedankengebilde einer großartigen Zukunft als Schreiberin lag in Scherben. Ich war des Kämpfens müde. Es gab keinen Ausweg aus diesem Tunnel. Noch mindestens zwei Jahre würde ich die Schulbank drücken müssen. Allein der Gedanke an Schule rief Übelkeit in mir hervor. Ich wollte leben, nicht rechnen oder physikalische Formeln studieren! Zwei Jahre, was für eine Ewigkeit! In zwei Jahren würde ich zwanzig werden, und es fühlte sich wie achtzig an. Doch es half alles nichts, ich hatte nichts in der Hand, womit ich mehr anfangen konnte, als zu kellnern. Na gut, sagte ich mir, zwei Jahre Schule bringen mich nicht um. Und wenn ich doch dabei draufgehe: dann nehme ich eben mein Abitur mit ins Grab.

16
    Im gemütlichen Tempo fahren Jim und ich vierzig Minuten über die Backroads nach Cornish. Die Sonne, die endlich durchgebrochen ist, ist schon wieder dabei zu versinken. Die Umrisse der Wolken färben sich golden. Die Intensität des milchigen Novemberlichts nimmt ab und lässt die Bäume glanzlos und massiv erscheinen.
    Nach einer langen Fahrt, auf der wir uns über die Intelligenz von Pflanzen unterhalten und Jim sein Wissen so umfangreich ausbreitet, dass ich ganz still werde, parkt er den Truck auf einer Anhöhe zwischen zwei Gebäuden. Rechts liegt eine Scheune, an deren Fassade dicht an dicht große und kleinere Geweihe angebracht sind. Unter dem Vordach, das an der kurzen Seite der Scheune auf zwei Stützen steht, sehe ich einen Mann. Er sitzt gebeugt auf einem Schemel. Wir steigen aus, ich schlage die Tür zu und gehe mit Jim zu ihm hin. Auf dem Tisch vor ihm liegt ausgebreitet ein frisches Schwarzbärenfell, und der Mann auf dem Schemel ist damit beschäftigt, die Haut des Tieres sorgfältig mit einem Messer und kurzen, präzisen Schnitten vom Schädelknochen zu lösen. Wir grüßen ihn, Jim stellt ihn mir als Pete vor. Pete grüßt zurück, als kämen wir jeden Tag um diese Zeit vorbei. »Die Tatzen sind noch gefroren, damit muss ich wohl bis heute Abend warten, aber wenn ich fertig bin, mache ich Bärenfußsuppe daraus«, meint Pete von seiner Arbeit

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