Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)
kleines dummes Ding! Doch das schien ihn nicht zu kümmern. Ich sagte zu: »Um eins an der Ecke Bahnhofstraße.«
Eine Stunde später schlug ich mir an den Kopf. Ich wollte doch gar nicht mit ihm essen. Ich stellte mir vor, wie wir zusammen im Halbschatten einer Linde oder Platane auf einer Parkbank sitzen würden, ihm würde auffallen, dass ich wenig aß, und ich müsste ihn vielleicht anlügen. Dann beim Abschied würde er fragen: »Kann ich dich wiedersehen?«, und ich würde einfach nicht nein sagen können, weil ich es nicht ertrug, jemanden abzuweisen, der sich meiner angenommen hatte.
Bisher hatte mich der Tresen von ihm getrennt, hatte mir als Schutzwall gedient. Hinter dem Tresen war ich unantastbar. Nun sollte ich neben dem Kickboard herspazieren und … – ja, was sollte ich dann tun?
Ich wollte wieder absagen, hatte aber keine Telefonnummer von ihm. An dem Morgen wartete ich ungeduldig, bis es »Bitte einen Espresso und einen Blueberry Muffin« hieß – doch er tauchte nicht auf. So ein Mist. Um zehn kam die Chefin und meinte, sie bräuchte mich über Mittag, da eine andere Kollegin ausgefallen sei. Ich sagte, ich könne nicht, ich sei zum Mittagessen verabredet.
»Du musst absagen, ich habe niemand anderen.«
Da stand ich also. Was jetzt? Ich konnte Mark nicht anrufen. Mittag nahte, und ich sah schon, wie er seinen Rucksack nahm, aus dem Büro Richtung Bahnhofstraße fuhr, sich dort hinstellte und wartete.
Um 12.30 Uhr ging der Mittagsstress los, die Menschen kamen pausenlos, die Schlange riss um diese Zeit einfach nicht ab. 13 Uhr verging, und ich konnte nicht weg. Ich wartete darauf, dass er kam, doch er kam nicht.
Es war mir ganz elend. Nun war er sicherlich verletzt. Er würde denken, ich sei wie alle anderen Frauen auch: mit großer Klappe und feige, wenn’s um mehr ging.
Der Tag verging. Um 16 Uhr durfte ich Feierabend machen. Ich fühlte mich, als hätte ich jemanden umgebracht. Das fing ja gut an mit mir und dem Gewinnen neuer Freunde, dachte ich und lief mit hängendem Kopf zur Tram. Aber ich hätte Mark ja auch gar nichts von mir erzählen können, alles, was ich zu erzählen hatte, war mir unangenehm und peinlich. Aber wie sollte ich dann mit Menschen in Kontakt kommen? Ich sagte mir, dass ich dann lieber alleine bleiben wollte, bevor sich irgendjemand von mir abwenden würde, nur weil ich gerade aus einer Institution für Nervenkranke entlassen worden war.
Von dem Tag an hörte ich nie mehr die allmorgendliche Bestellung »Bitte einen Espresso mit Blueberry Muffin.« Mark ließ sich nicht mehr blicken.
15
Vi er Monate Arbeit an der Espressomaschine machten mir klar: für immer konnte ich das nicht tun. Am meisten ging mir die Arbeitskleidung – schwarze Hosen, dunkles T-Shirt und schwarze Schuhe – auf die Nerven. Es kostete mich jeden Morgen mehr Kraft, in dieses düstere Outfit zu schlüpfen.
Nach vier Monaten des Bedienens fühlte ich mich dünnhäutig und von all den Wünschen und Forderungen ausgezehrt. Neben der Sache mit dem Blueberry Muffin ereigneten sich Dinge, mit denen ich noch überhaupt nicht umgehen konnte. Die Lebendigkeit der Stadt wirkte nach der Abgeschiedenheit in der Klinik ungeheuerlich auf mich.
Als ich an einem Morgen in der Pause auf die Toilette ging, fand ich dort einen schockierenden Saustall vor. Da lagen Spritzenkanülen, blutgetränktes Klopapier, Pflaster, Plastikhüllen von Nadeln und Taschentücher rum. Wände und Klodeckel waren mit Blutspritzern übersäht, es sah aus, als sei hier eine Sau geschlachtet worden. Eine Frau musste sich mindestens drei Spritzen Heroin in die Venen gejagt haben. Es war mir unerklärlich, wie man so was anrichten konnte. Mechanisch holte ich Schaufel und Besen. Weg damit, dachte ich nur. Bloß weg damit. Als ich wieder an die Arbeit ging, überlegte ich krampfhaft, wer denn hereingekommen war, der wie eine Drogensüchtige ausgesehen hatte. Ich konnte mir kein Gesicht in Erinnerung rufen.
Als um zehn die Chefin kam, erzählte ich ihr von dem Vorfall. Sie schimpfte mit mir, ich hätte sofort jemanden rufen müssen und auf keinen Fall hätte ich das alleine wegmachen dürfen. Ich hätte mich verletzen und infizieren können, sie machte ein ziemliches Theater.
Eines anderen Morgens kam der Vorgesetzte meiner Chefin in den Laden und fragte, wer denn die Tafel draußen beschriftet habe? So eine Schmiererei könne kein Mensch lesen, und überhaupt: wer schreibe schon »Heiße Schocki«, das müsse »Heiße
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