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Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Titel: Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Jacobs
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Tortenstück über meinem Kopf, zur Schule gehen und sicher sein, dass mir beim Schreiben und Lesen keine Fehler unterlaufen würden. Spätestens nach den dreißig Schritten aus dem Haus schleuderte ich das imaginäre Tortenstück in die Hagebuttensträucher.
    2. Täglich mit der inneren Wand üben. Das hieß, ich musste täglich das Alphabet vorwärts und rückwärts von dieser Wand ablesen, und jeden Tag sollte ich dem Ganzen eine andere Farbe verleihen.
    3. Jeden Tag ein kurzes Diktat. Ätzend.
    4. Unter Aufsicht lesen. Langweilig.
    5. Täglich die Laute hören und identifizieren. Aus R oo gen mach Ro ggen. Wie viele o hat das Wort Roggen?
    6. Ein Wort aus der Liste klären: zunächst besprechen, dann damit Sätze bilden, eine Zeichnung anfertigen und ein Tonmodell bilden. Diese Liste war ein fingerdicker Papierbogen, in dem Satzzeichen und Wörter nach Arten unterteilt aufgelistet waren. Begonnen mit Punkt, Komma, Doppelpunkt, Semikolon, Ausrufezeichen und so weiter hin zu den Wortarten wie Nomen – Mensch, Ding, Ort, Idee. Die Verben waren in ihre Untergruppen sortiert, und dann gab es noch die Präpositionen, die Interrogativpronomen, Indefinitpronomen – kurz: alle, alle Wörter, die in der deutschen Sprache existieren und in meinem Gehirn kein Bild auslösten. Zum Beispiel das Wort während: Da zeichnete ich einen Cowboy, der, mit dem Rücken an einen Baum gelehnt, schläft. Während er schläft, löst sich sein Pferd vom Strick und geht davon.
    Nach der Zeichnung musste ich kneten. Hätte ich sonst nichts zu tun gehabt, wäre es kein Problem gewesen, diese Aufgabe zu meistern. Aber allein das Tonmodell anzufertigen kostete unendlich viel Zeit! In dreißig Minuten war das alles einfach nicht zu schaffen. Meist führte ich dieses Programm abends mit einer Studentin oben in meinem Zimmer aus, während meine Mutter kochte. Die Zeit bis zum Abendbrot war immer knapp, und die Studentin wollte um sieben Feierabend machen und drängte mich, das Tonmodell nicht zu aufwendig zu machen. Ich knetete oder zeichnete und hörte meinen Vater, der vom Büro nach Hause kam. Spätestens um 18.45 Uhr rief meine Mutter zu uns Kindern hoch: »Kann mal einer von euch den Tisch decken!« Wenn sie ein zweites Mal rief, brach ich ab und zog das Tischdecken der Gehirnschulung vor.
    Irgendwann weigerte sich die Studentin, weiter mit mir zu arbeiten, und mein Vater musste ran. Weder für ihn noch für mich war das leicht. Während eines der »kurzen Diktate« kratzte ich mit der abgebrochenen Klemme der Kappe meines Füllfederhalters Ich hasse in das Holz meiner Schreibtischplatte. Mein Vater wurde furchtbar wütend – wir brachen ab. Ich schäme mich noch heute dafür. Fortan standen diese Worte in meinem Schreibtisch. Ich hasse (dieses Training).
    Um 19.15 Uhr aßen wir dann schließlich alle zusammen zu Abend.
    Doch der Strategieplan war da noch nicht ganz abgearbeitet.
    7. Zeichnen: Vor der weißen Wand einen Gegenstand visualisieren, bis er ganz klar ist. Augen auf: zeichnen. Sich selbst fragen: Was ist gut und fertig? Was nicht? Es wundert mich nicht, dass ich, wenn ich später zeichnete, mit nichts anderem zufrieden war als mit der perfekten Kopie einer Vorlage. Ich erinnere, dass mich mehrere Lehrer von Grundschule bis Gymnasium verdächtigten, meine Zeichnungen nicht selbst gemacht zu haben und mir dafür schlechte Noten gaben.
    8. Einmal die Woche metamorphische Massage. Das bedeutete, mich von Frau Bernegger anfassen lassen zu müssen, womit sie meine persönliche Schutzmauer zu durchbrechen beabsichtigte. Noch heute hasse ich Massagen.
    9. Im Falle von Fragen oder Problemen anrufen. Wenn die Übungen nicht mehr ausreichen, vorbeikommen oder anrufen, um neue Übungen zu bekommen.

8
    In europäischer Zeit muss es bereits halb vier Uhr morgens sein. Die Zeiger meiner Uhr, die auf dem Nachttisch neben einem Buch liegt, leuchten mir die Vermonter Zeit. Es ist halb zehn Uhr abends. Ich liege noch wach in meinem Bett. Da ich das Fenster spaltbreit geöffnet habe, dringt Kälte herein. Wollsocken und eine zusätzliche Wolldecke, die ich auf die Daunendecke gelegt habe, halten mich warm. Im Dämmerschlaf lausche ich dem Geräusch des plätschernden Wassers, das sich, von dem Weiher der Farm kommend, über eine Steinmauer in ein kleines Becken ergießt und sich von dort ins Connecticut Valley schlängelt. Draußen ist es stockdunkel. Nachts ist es so finster, dass man sich um diese Uhrzeit ohne Taschenlampe verläuft –

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