Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)
Pferde hämmert mit dem Huf gegen die Boxentür, Jim ist irgendwo verschwunden, um nach etwas zu schauen. Ich gehe die Stallgasse rauf und runter und genieße jeden Schritt. Da taucht Jim wieder auf. Im Gegenlicht wankt er mir ganz langsam mit in den Hosentaschen vergrabenen Händen und hochgezogenen Schultern entgegen. Ich habe das Gefühl, etwas sagen zu müssen, aber dann finde ich jeden Gesprächsansatz unnötig. Da höre ich den Motor eines Wagens. Francis kommt. Er steigt aus und trägt eine Pappkiste voll mit drei eingewickelten belegten Broten, Pappbechern und kleinen bunt bedruckten Chipstüten in beiden Händen. Wir begrüßen uns. Francis nimmt seine Kappe ab, streicht sich mit den Händen übers Haar und stützt dann die Rechte in die Hüfte.
Zu dritt essen wir unsere Brote draußen auf Strohballen, trinken Cola, Wasser und essen Chips dazu.
»Schicker Hut. Wo hast du den her?«, fragt mich Francis.
»Aus Jackson Hole«, sage ich stolz.
»Du warst im Cowboy-Land?«
»Aber klar!«
Francis lacht. »Das kam ja wie aus der Pistole! Ich war mir nicht sicher, tut mir leid.«
»Ich bin ein Cowboy.«
»Ja, ich auch«, seufzt Francis. »Aber ich glaube, mein Akzent ist zu irisch. Die würden mich im Westen höchstens als Hufschmied anstellen.«
Ich schmunzle und schnippe mit dem Zeigefinger gegen die Hutkrempe. »Ich trage ihn nur viel zu selten.«
»Du nimmst ihn nicht mit ins Bett? Dann, meine Liebe, kannst du kein Cowboy sein.«
»Oh doch!« Ich zucke mit den Schultern, um zu bedeuten, dass ich für den Wunsch, ein Cowboy zu sein, nichts kann.
Francis und Jim nicken beide wissend.
9
Au s mir sollte allerlei werden. Physikerin, Mathematikerin, Chemikerin, Ärztin, Juristin, aber keinesfalls ein Cowboy.
Vielleicht tun Eltern ihrem Kind auch keinen Gefallen, wenn sie ihm jeden Abend vor dem Schlafengehen ins Ohr flüstern: »Und du wirst Cowboy, hörst du?« Vielleicht muss man wirklich das Abitur haben, damit was Vernünftiges aus einem wird. Als Cowboy fährt man rostige Trucks, zupft Gitarren und ist immer unterwegs. Man trägt zerbeulte Jeans und immer denselben Gürtel. Man streitet nicht, reitet lieber schweigend davon und sucht Trost bei einem braunen Vierbeiner.
Das Pferd ist der Anfang jeder Phantasie vom freien, wilden Leben. Das Pferd ist so selbstverständlich Teil meines Lebens wie der Traum vom Cowboy. Ohne Pferde ergibt mein ganzes Streben nach Freiheit keinen Sinn.
Auf besondere Weise ist die Liebe zum Pferd in meiner Familie enthalten wie der Hang zum o-beinigen Gang mit leicht nach vorne gebeugtem Oberkörper.
Ohne Land ist ein Bauer kein Bauer, ohne Tiere ist eine Farm keine Farm. Ohne Pferde ist ein Jacobs kein Jacobs. Es gibt Schwarz-Weiß-Filme meines Urgroßvaters Jacob Jacobs, der am Strick eine Hannoveraner Stute mit ihrem Fohlen durchs Bild der Kamera führt. Die Landschaft drumherum ist karg, die Erde aufgewühlt, die Zaunlatten krumm und ungehobelt. Mit großen Schritten führt er seinen ganzen Stolz vor, und dahinter hüpft behende das Fohlen. Man sieht dem Mann die körperliche Arbeit an, die Schultern sind rund und schwer, es ist dieses Pferd, das ihn aufrecht gehen lässt.
Mein Großvater Walther Jacobs war mit ähnlicher Passion dem Pferd verfallen. Fünfzig Jahre nachdem er die Sümpfe in Sottrum trockengelegt hat, um Weiden einzuzäunen, blickte wiederum mein Vater auf einen Stall mit Halle und Weideflächen davor, die er sich vom Wald zurückgeholt hat. Und ich?
Wenn ich meine Reitstiefel aus dem Schrank nahm, standen sie zwischen den Stiefeln meines Vaters, mein Helm lag neben dem Helm meines Vaters. Zwischen mir und meinem Vater gehört eine Unterhaltung über Pferde so natürlich dazu wie die Frage nach dem eigenen Befinden.
Obwohl ich die Reiterei nie als Leistungssport betrieben habe, kann ich mir ein Leben ohne das Pferd nicht vorstellen.
Ich habe mit sechs Jahren an der Longe mit dem Reiten begonnen. Einmal die Woche, mittwochs von 15 bis 16 Uhr. Nach zwei Jahren durfte ich zum ersten Mal in der Abteilung reiten, das heißt, dass ich in der Reithalle mit acht anderen Pferden in der Einerkolonne im Kreis ritt. Immer wenn ich zum Reiten gebracht wurde, hatte ich Herzklopfen. Dieses Herzklopfen verspüre ich noch heute, wenn ich zum Stall fahre.
Der Stall meiner Kindheit liegt an einer Straße auf einer Anhöhe, bevor es runter nach Herliberg geht. Ich habe ihn hauptsächlich als dunkel in Erinnerung. Die Boxen waren viel zu niedrig und zu klein, die
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