Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)
Nüstern der Tiere empor.
Es ist kalt und still.
Vögel flitzen geräuschlos umher, wilde Truthähne rennen vor uns über die Koppel, als Francis und ich die Pferde in den Wald lenken.
Ich kann vom Duft des Waldes, des feuchten Laubs, der nassen Baumstämme nicht genug bekommen. Ich könnte in der Erde baden, könnte eintauchen, um den Herzschlag des Bodens zu spüren. Ich bilde eine Einheit mit dem Geräusch der fließenden Gewässer. Die Bedingungslosigkeit meines Daseins erfüllt mich mit Kleinmut und Bescheidenheit. Es wird sehr still in mir, böse Geister legen sich zur Ruhe. Meine Freiheitssucht, meine Sturheit und die schiere Verzweiflung über den Lauf meines Lebens verlieren in diesem Umfeld völlig an Bedeutung.
Wir reiten an verfallenen Farmhäusern vorbei, eingestürzten Kühlkellern, überwucherten Fundamenten von Häusern und den Trockenmauern, die einst Ländereien eingrenzten.
Wir galoppieren lange einen Bach entlang den Berg hoch. Giovanni buckelt leicht und schnaubt vergnügt. Wir lassen die Pferde rennen. Giovanni holt mit seinen Beinen weit aus, die Hufe klappern auf dem festgetretenen Weg. Mir kommen die Tränen vom kalten Wind. Am Ende der Strecke müssen wir den Bach überqueren. Walther geht mit Francis ohne Probleme durchs Wasser, doch Giovanni ist so aufgedreht, dass er sich weigert, das Wasser auch nur mit einer Spitze seines Hufs zu berühren. Er dreht sich auf der Stelle. Ich rede ihm gut zu und treibe ihn wieder Richtung Einstieg, doch er windet sich, scheut rückwärts und stellt sich auf die Hinterbeine. Ich steige ab und versuche ihn am Zügel durchs Wasser zu führen. Doch er reißt seinen Kopf hoch und stemmt sich mit den Vorderhufen gegen meinen Zug. Ich versuche es noch mal, doch Giovanni will nicht durchs Wasser. Seine Augen sind schon ganz wild. Francis steigt am anderen Ufer ab, wickelt Walthers Zügel locker um einen Ast und watet durchs Wasser zu uns herüber.
»Na, komm schon, du schöner Prinz, Wasser tut dir nicht weh.« Er nimmt die Zügel dicht an der Trense und zieht ihn hinter sich her.
Ich schnalze mit der Zunge und versuche ihn von hinten sachte zu treiben. Giovanni wird fast verrückt vor Angst. Wir beide reden ihm gut zu. Francis sagt: »Ich weiß, es ist etwas matschig, aber wenn du kein Theater machst, wirst du auch nicht dreckig.«
Giovanni setzt sich auf die Hinterhand, ich warne Francis: »Achtung, der springt gleich«, und mit einem großen Satz setzt er über den Bach, ohne mit einem der vier Hufe das Wasser zu berühren. Francis lacht und klopft ihm den Hals. Giovanni spielt sich auf.
»Und nun wieder zurück.« Francis führt ihn fünfmal vor und zurück durch das kleine Rinnsal. Bald geht Giovanni schnaubend und aufgeplustert wie ein Gockel durch den Matsch. Ich steige wieder auf, reite noch dreimal hin und her, und alles ist in Ordnung. Wir können weiterreiten. Ich klopfe ihm den Hals. Es ist schön, wenn man einem Pferd die Angst nehmen kann.
Zweiter Teil IN DEN GRÜNEN BERGEN
1
Na ch einem Sommer auf Birch Hill fuhr ich in der letzten Augustwoche 1999 mit meinem Vater nach Saxtons River, Vermont, und wurde in der Vermont Academy eingeschult. Mein Vater schleppte die schweren Taschen die enge Treppe hoch ins erste Geschoss des Dorms, meines Wohnhauses, in dem ich untergebracht war. Während ich auspackte, saß er in der Elterninformation, musste Formulare ausfüllen und kam erst vier Stunden später zum Dorm zurück.
Gemeinsam gingen wir in der Nachmittagssonne über den Campus. Es gab einen Hauptweg, den Long Walk, an dem auf der einen Seite die Schulgebäude lagen und auf der anderen die Felder für Fußball, Hockey und American Football. Am einen Ende dieses Weges befand sich ein flaches Gebäude, in dem der Speisesaal mit Küche untergebracht war, sowie Aufenthaltsräume, die Cafeteria und ein schalldichter Musikraum. Daneben lag ein Wohnhaus für Jungs, in dessen Untergeschoss auch die Naturwissenschaften und Sprachen unterrichtet wurden. Diese »Fuller Hall« war das größte Gebäude auf dem Campus. Daneben stand ein großes Wohnhaus für Mädchen, und schließlich kam der Parkplatz. Die Bibliothek und das Büro der Fakultäten befanden sich in den Gebäuden gegenüber der Fuller Hall. Weitere kleine Wohnhäuser, das Gym, die Eishockeyhalle und die Tennisplätze lagen verstreut auf dem Schulgelände.
Als ich mit meinem Vater, vom Parkplatz kommend, über den Long Walk spazierte, spielten manche Kids Frisbee im Feld, andere standen
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