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Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Titel: Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Jacobs
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Joch, das man ihm um die Schultern gelegt hatte. Er war zwar stämmig, hatte aber ein Gesicht, wie man es in den Katalogen von edler Sport- und lässiger Freizeitmode findet. Mike und Chris Callahan wurden von Ingrid bewundert, einem Mädchen, das einen runden Po hatte und nur unifarbene Baumwoll-T-Shirts trug. Sie hatte blonde glatte Haare und eine spitze Nase, die sie immerzu mit einer Aufwärtsbewegung ihres Handrückens abwischte. Sie lebte in meinem Dorm.
    Um diese drei Jungs versammelten sich auch die aschblonde Rebecca, die wie eine Gazelle rannte und aus Kalifornien stammte, die wildgelockte Patience aus Connecticut und ein Mädchen mit Tattoos auf Bauch, Beinen und Po, irrem Blick und rauchiger Stimme aus Kanada: Julie.
    Nachdem ich mehr Zeit mit dieser Anhängerschaft verbrachte, stellte ich zu meiner Überraschung fest, dass Mike Hutchins – nach seinem Nachnamen »Hutch« genannt – großen Wert darauf legte, dass ich bei den abendlichen Zusammenkünften neben ihm saß. Er rief mich aus dem Dorm, um mit mir Trampolin zu springen, er fragte tausend Fragen und lachte über meine Witze. Das war mir neu, und ich hegte sofort große Sympathien für diesen total netten Boy.
    In den letzten Sommermonaten saßen die anderen Schüler und ich nach dem Essen und vor den Hausaufgaben noch auf den Holzbänken unter den Alleebäumen am Long Walk und unterhielten uns, ich genoss es, unter so vielen völlig neuen Menschen zu sitzen, mit ihnen zu lachen, herumzualbern und darüber meine Unsicherheit im Umgang mit anderen zu vergessen. Keiner von ihnen wusste, wo die Schweiz liegt, das tat irgendwie gut. Ich lernte nach und nach auch andere Gruppen kennen und stieß auf Jesse und die Schüler, die sich um ihn herum gruppierten. Er war der Sohn eines Schlagzeugers einer sehr angesagten Rock-Band. Er selbst spielte auch Schlagzeug, wie sein Vater, und war Teil einer eigenen Band. Er hatte überall bunte Tätowierungen, feuerrote Haare, blassblaue Augen und eine feine, schmale Nase. Er war ein Energiebündel und konnte sehr gut Skateboard fahren. Er wollte wissen, ob man auf der »Autobahn« tatsächlich so schnell fahren konnte, wie man wollte, und ob es dort, wo ich herkomme, auch Comic-Serien im Fernsehen gäbe. Er interessierte sich für meinen Musikgeschmack, und wir fachsimpelten übers Skaten, über Mode, übers Malen und Zeichnen. Er fragte, wie zur Hölle ich in der Vermont Academy gelandet sei, und ich meinte, ich sei nicht gut genug für die Schweizer Schulen gewesen.
    »Disabled?!«, fragte er mit aufgerissenen Augen.
    »Oh yes.«
    »Just like me«, und darauf gaben wir uns die Hände.
    Da war der Junge aus der Gosse, nach dem ich gesucht hatte!
    Jesse wurde mein bester Freund. Ich schloss mich zaghaft seiner Gruppe an, war aber eigentlich zu brav, um als richtig cool zu gelten. Doch im September zeichnete mir Jesse ein Graffiti zum Geburtstag, »Happy Birthday * Sorry It Has To Be At Vermont Academy! Have An Awesome Day«, und steckte es in mein Postfach. Ich glaubte zu spüren, dass er mich mochte, und das empfand ich fast wie eine Ehre.
    Nach einem Leben in völliger Zurückgezogenheit, einem Leben, in dem ich nie ausgegangen war, mich nie am Wochenende krank getrunken hatte, gehörte ich völlig unerwartet »dazu«. Hier spielte man nach anderen Regeln.
    Dieses neue Gefühl des Sozialseins hatte für mich nur einen Haken: Ich war keinen Moment mehr alleine. Für mich war Rückzug, wenn ich ihn brauchte, selbstverständlich. Hier musste ich mich wohl oder übel dauerhaft exponieren, sonst verlor ich den Anschluss. Ich durfte mir keinen Rückzug erlauben.
    Nur manchmal blieb Zeit, in Gedanken nach Hause zu wandern, und dann holte mich auch das Gefühl von Heimweh ein. Zum Beispiel, wenn ich eine Postkarte oder eine E-Mail von meiner Mutter bekam. Es gab auf der ganzen Schule nur einen Computerraum, in dem zehn Rechner mit Internetanschluss standen. Es kam sehr oft vor, dass ich hier auf Judd Markowski stieß, der im Internet Bilder von Landmaschinen und Traktoren suchte. »Hey, Louise! Schau dir das an! Ein Porsche-Traktor von 1960! Ich liebe diesen Shit. « Judds Locken standen immer zu Berge, und er hatte unreine Haut, was ihn aber gar nicht weiter störte. Er saß auch in meiner Mathematikklasse, bastelte Papierflieger, war hyperaktiv, blitzgescheit und schlief im Unterricht über seinem Bücherstapel ein. Im Computerraum setzte ich mich immer neben seinen Platz und prüfte, ob ich Nachrichten aus der

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