Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)
leuchtete, humpelte auf einen Stock gestützt an dem schattigen Schaufenster vorbei. In seiner Gesäßtasche steckte ein rotes Tuch.
Ich betrat einen Ausstatter für »Horse & Rider Equipment« und kaufte mir eine Carhartt-Jacke und einen Resistol-Cowboyhut aus eng geflochtenem hellem Stroh. Die Verkäufer lächelten amüsiert, als ich mit den kurzen Haaren, in Jeans, mit meiner neuen Jacke und dem Hut vor dem Spiegel stand.
Mit dem Fahrer, der mich wieder aufgabelte und im Auto pausenlos redete, fuhr ich zweieinhalb Stunden bis zur Bitterroot Ranch und fühlte mich unweigerlich an Argentinien erinnert. Wir fuhren an glasklaren Seen vorbei, neben uns die Berge, die aus dem Nichts in unfassbare Höhen schossen. Dann fuhren wir wieder durch steppenartige Landstriche, gesprenkelt von den kugelrunden Gewächsen des wilden Salbeibusches, kamen in dunkle Kiefernwälder und wieder auf freie, sanft hügelige Ebenen, die mit kurzem grünem und gelbem Gras bedeckt waren.
Die Ranch lag in einer Senke, an einem Fluss und gehörte einem Rancherehepaar, Bayard und Mel Fox. Das Hauptgebäude war umgeben von mehreren kleinen Blockhäusern. Mein Ein-Zimmer-Blockhaus hatte eine Holztür, zwei sich gegenüberliegende Fenster und einen Dachüberstand, unter dem sich vorne eine Veranda mit Schaukelstuhl befand. Neben meiner Hütte stand eine Tanne, die umringt wurde von Pioniergewächsen wie Birken und anderen hohen Sträuchern. Es roch nach heimischem Holz, frischer Baumwollwäsche und warmer Luft.
Ich legte meine Sachen ab, öffnete das Fenster und warf mich aufs Bett. Durchatmen.
Da die Sommersaison gerade erst begonnen hatte, waren nur fünf andere Gäste auf der Ranch.
Wir ritten morgens von neun bis zwölf und nachmittags von zwei bis vier. In voller Montur samt meinem Cowboyhut erschien ich am ersten Morgen zum Ritt. Ich wurde aber darauf hingewiesen, dass man nur mit Helm reiten durfte. Also hängte ich meinen Hut an den Nagel und setzte den Helm auf. Ein Falbe namens Aspen wurde mir als Reitpferd zugeteilt, und wie sollte es auch anders sein – ich schloss den Vierbeiner mit karamellfarbenem Fell, blondem Schweif und blonder Mähne in mein Herz. Er war jung, vielleicht fünf Jahre, und hatte am hinteren rechten Bein einen weißen Stiefel. Ihn zeichneten, wie für die Rasse der American Quarter Horses üblich, eine kräftige Hinterhand und breite Schultern aus, er war aber nicht dick und vom Stockmaß so, dass ich mich leicht in den Sattel schwingen konnte.
Mittags lagen filetierte Forellen auf einer Platte, die Bayard Fox, der Gastgeber, am selben Morgen gefangen hatte, Salate dazu, frisches Brot und Suppe. Meine Eltern hatten das Ehepaar darauf hingewiesen, mein Essverhalten im Auge zu behalten. Es war mir äußerst peinlich, als mich Bayard darauf ansprach – hier waren meine Probleme so nichtig. Das Essen sei köstlich, versicherte ich ihm. Und ich aß.
Nachts weideten die Pferde vor meinem Fenster, und ich konnte hören, wie sie in kleinen Bissen das Gras mit ihren Zähnen auszerrten. Ich hörte ihr Schnauben, ihre Huftritte. Morgens, wenn ich im Tau zum Haupthaus ging, um zu frühstücken, fand ich die Spuren eines Bären im Matsch und hörte nichts als Wind und Vogelstimmen. Ich fühlte mich zurückversetzt in die Zeit, als die Weißen dieses von den Ureinwohnern schon über Jahrhunderte kultivierte und bewohnte Land als »Wilden Westen« ergründeten.
Wie muss es gewesen sein, in dieser Natur ohne Navigation, ohne Karten oder Wegweiser zu wandern? Ich stellte mir die Menschen vor, die mit dem Planwagen und sechs Maultieren monatelang durch die Plains, das Grasland, zogen, mit dem einzigen Ziel: Kalifornien, dem Paradies auf Erden.
Fanden sie in dieser gottverlassenen Ebene die Erfüllung ihrer Träume? Wurden sie enttäuscht? Wurden sie von Wilden entführt und über Tage hinweg gefoltert und schließlich verbrannt? Wurden sie vom selben Schicksal gelenkt, das mich hierhergeführt hatte?
Zu viert oder zu siebt ritten wir durch die imposante Landschaft Wyomings, die sich mit unfassbarer Großzügigkeit vor meinen Augen ergoss. Verdammt, es gab einfach keine Zäune! Da man nur begrenzt in die Weite spähen konnte, überließ ich mich der köstlichen Illusion, Platz zu haben – so viel Platz. Der blaue Stoff meines Hemdes flatterte im Wind. Wir ließen auf Anhöhen die Pferde am langen Zügel in die Gebisse kauen. Vor uns nur grüne Ebenen, die in niedrige Berge übergingen, Täler schufen und von Flüssen
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