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Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Titel: Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Jacobs
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aufgeschütteten Gräber, die Sumpfgebiete und die Seen im Südosten verlassen haben, um es im trockenen Westen besser zu haben. »Manchmal, wenn mir mein Ellbogen vom Schneeschippen so weh tut, dass ich nicht mehr weiterschippen kann, dann träume ich davon, nach Kolumbien zu gehen. Der Winter hier ist, je älter ich werde, zu lang und zu kalt. Aber ich werde trotzdem immer hierbleiben.«
    »Ich meine, wovor hätte man, wenn man ginge, Angst?«
    »Davor, ein Außenseiter zu bleiben, sich nicht integrieren zu können. Der Mensch braucht sein Umfeld, der eine mehr, der andere weniger.«
    »Ich werde das Gefühl nie los, ein Fremder zu sein. Egal, wo ich hinkomme«, sage ich. »Deshalb hänge ich nicht an gesellschaftlichen Umfeldern.«
    »Aber sich dann für die Einsamkeit zu entscheiden, ist auch keine befriedigende Lösung.«
    »Man braucht immer Menschen, denen man sich innerlich verbunden fühlt und denen man sagen kann: Lasst mich doch in Frieden! Sind die nicht da, dann ist man einfach nur einsam. Und einsam sein ist echt blöd.«
    Jim ergänzt: »Und man braucht manchmal jemand anderen, der einem sagt, was gut und was schlecht ist. Sonst wird man komisch.«
    »Wenn um vier keiner mehr auf der Farm ist, wird es auch auf Birch Hill sehr still. Und weißt du was?«, ich wische meine Finger an der Papierserviette ab. »Ich sage immer, ich will frei sein, und tatsächlich ist es doch so, dass ich hier völlig frei bin, ich meine, da ist nichts, was mich aufhält.«
    Jim guckt mich an, als wolle er fragen: ›Wirklich nichts?‹
    »Warum aber fühle ich mich nicht frei?«
    Jim leckt den Senf von seinem Daumen und zieht seine großen Finger durch die Papierserviette. Locker zusammengeknüllt legt er sie dann in den Fleischsud vom Burger, zur sauren Gurke, in der noch der Zahnstocher steckt. Dann schiebt er den Teller etwas von sich weg. Er lächelt. »Well. Vielleicht bist du nicht im Reinen mit dir. Frei sein ist nicht so einfach. Es ist vielleicht ein Unterschied, ob man frei oder sogar befreit lebt. Wenn man sich die Indianer anschaut, dann haben sie zwar frei gelebt, aber sie waren eingebunden in einen ganzen Kosmos von Ritualen, Geschichten, von Zaubereien und von Feinden. Sie haben sich diese Struktur gegeben, in der sie befreit leben konnten.«
    »Ist man verwöhnt, wenn man Unabhängigkeit als eine Selbstverständlichkeit ansieht?«
    »Nein.« Er lächelt mich an, als hätte er mir soeben ein Geheimnis verraten.
    Ich will eigentlich nicht nach Hause. Ich will mich weiter mit Jim unterhalten, aber mit den abgegessenen Knochen der Hähnchenflügel in der Pappschachtel, der Schmiererei von Ketchup an Serviette und Besteck, den ausgetrunkenen Gläsern und den Krümeln überall wird es an unserem Tisch ungemütlich.
    Wir beschließen zu gehen und zahlen.
    Im Auto ist es erstaunlicherweise Jim, der unser Gespräch wieder aufnimmt. »Kennst du den antiquarischen Buchladen in Woodstock?«
    »Da wollte ich schon immer hin«, sage ich und weiß gleichzeitig, wie lächerlich das klingt. »Nein, ich war noch nie da.«
    »Geh mal hin. Der hat einige Bücher über Cowboys und den alten Westen; ich denke, das könnte dich interessieren. Die haben alles zurückgelassen, und man könnte meinen, sie seien frei gewesen.«
    »Aber sie waren Getriebene.«
    »Nicht alle Cowboys haben es mit ihren Rindern ans Ziel geschafft, so viel ist klar. Manche saßen mitten in der Wüste, umgeben von Skorpionen, Klapperschlangen und Staub und haben in den Sand geschossen vor Langeweile. Überleg dir mal, wie das ist, wenn du eine Waffe hast, aber nichts, worauf du schießen kannst. Ich habe mal über einen Trapper gelesen, der siebenhundert Meilen auf dem nackten Pferderücken von Illinois Richtung Texas geritten ist, weil er keine Kohle für einen Sattel hatte. In Texas hat er Rinder zusammengetrieben, bis er eine Herde von hunderachtzig Tieren besaß. Aber die Indianer haben sie ihm alle abgeknallt und geklaut. Dann hat er sich der Pelz-Company angeschlossen und ging in die Berge. Dort hat’s ihn erwischt, er hat sich selbst aus Versehen in die rechte Brust geschossen. Wollte die Waffe am Gewehrlauf aus dem Wagen ziehen. Der Ladestock steckte in der Mündung, der Hahn blieb an irgendwas hängen und feuerte die Kugel ab – direkt durch seine rechte Brust. Er starb an der Verletzung.«
    Ich schaue zu Jim. »Das ist echtes Pech.«
    »Die waren vielleicht frei, sind aber wie die Fliegen an Cholera und Durchfall gestorben oder kamen in die

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