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Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Titel: Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Jacobs
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eigenen Schwächen gerannt. Da gab es schon ein zweites Ich, das mein anderes, schwächliches, behindertes Ich auslachte. Es hielt sich den Bauch vor Lachen, es lachte sich halb tot.
    Im Mai 2000 war der Spuk vorbei. Ich schnitt meine schulterlangen Haare auf fünf Zentimeter ab und erregte damit ungewöhnlich viel Aufmerksamkeit. Das Year Book kam heraus. Die Noten wurden vergeben, und alle warfen ihre Hüte. Es war klar, dass ich nach dem Sommer nicht an die Vermont Academy zurückkehren würde.

14
    Me ine Eltern machten sich große Sorgen um mich und wollten mich so schnell wie möglich zu Hause wissen. Aber ich war dem Cowboyland so nahe! Ich wollte noch weiter westwärts, denn dort lag Montana. Das Wort allein ließ meinen Brustkorb in Flammen aufgehen. Ich wollte zu den Bitterroot Mountains, in denen die Szenen von Aus der Mitte entspringt ein Fluss gedreht worden waren. Ich wollte das Wasser des Blackfoot Rivers gurgeln hören, darin waten und hellgraue Handschmeichler aus dem Kiesbett in die Strömung werfen. Ich wollte zu den Pferden, endlich wieder nach draußen! Ich konnte mich noch nicht mit der Tatsache abfinden, als Versager zurückzukehren. Ich wollte wie mein Romanheld John Grady aus All the Pretty Horses Arbeit auf einer Ranch suchen und den ganzen Sommer junge Pferde einreiten – unmöglich. »Das kommt nicht in Frage.« Selbst alleine Urlaub zu machen gestaltete sich in den USA mit siebzehn Jahren als schwierig.
    Schließlich durfte ich eine Woche nach Dubois, Wyoming. In unserem Vermonter Bekanntenkreis fand sich niemand, der eine Gäste-Ranch in Montana empfehlen konnte. Es wurde also Dubois. Mir war mittlerweile auch schon gleichgültig, wo im Westen ich landen würde – Hauptsache in der Nähe der Rocky Mountains. Ich buchte mich dort eine gute Woche in einem kleinen Blockhaus ein.
    In meinem Zimmer in der Vermont Academy packte ich meine Sachen zusammen und flog nach Jackson Hole, was zwischen den Zähnen der Teton Range im Westen und den Gros Ventre Range im Osten am Yellowstone Nationalpark liegt. Bei meiner Zwischenlandung in Denver bemerkte ich einen im Abfluggate wartenden, anscheinend schlafenden Mann – ein Cowboy! Seine Stiefelspitzen ragten zehn Zentimeter unter den bootcut Jeans hervor. Die Krempe seines buttergelben Strohhutes berührte fast die Brusttasche seines Jeanshemdes, und an dem breiten Handgelenk trug er einen Schmuck aus Bronze. Ich musterte den Mann während seines Nickerchens und dachte immer wieder: Es gibt sie wirklich.
    Ein Fahrer der Ranch holte mich an dem kleinen Flughafen von Jackson Hole mit meiner großen roten Tasche ab und fragte, ob ich noch in town was zu besorgen hätte. Jackson Hole klang schon so herrlich, ich wollte unbedingt in einen Saloon einkehren. An der Mainstreet der legendären Westernstadt setzte er mich ab. Ich bat um eine Stunde Zeit und schlenderte an den Schaufenstern der Holzhäuser vorbei, hinter denen sich Liquor Stores, Outfitters und Restaurants befanden. Nach dem langen Flug hatte ich Hunger und Durst. Bis zur Ranch mussten es mindestens drei Stunden Autofahrt sein. Ich beschloss also, vorher zu essen und zu trinken. Und tatsächlich erblickte ich einen Saloon. Stimmen drangen von innen auf die Straße. Das mit schwarzer Farbe grundierte Schild baumelte an zwei Eisenketten leicht hin und her. Mit einem Pinsel waren die weißen Lettern »Lone Jack« aufgemalt worden.
    Ich trat in eine Welt, deren Zugang mir bisher nur über Bücher oder Filme eröffnet worden war. In dem Moment war ich wieder mehr Mann als junge Frau, sah nicht mehr einfach das Parkett auf dem Boden, sondern blickte auf das schmierige Holz, das hier und da mit unregelmäßig eingetrockneten Bierpfützen und kautabakbraunen Spuckflecken versehen war. Ich hörte nicht mehr das Quietschen meiner Turnschuhe, sondern das nachgebende Eichenholz unter meinen Stiefelhacken. Die Einrichtung dieses modernen Saloons bot mir Stoff, um eine jahrelang gehegte Phantasie zum Leben zu erwecken. Vor mir erstreckte sich ein fünf Meter langer Bartresen. Topflampen hingen von der Decke, dahinter sah ich einen Barkeeper in schwarzer Weste und Nickelbrille. Seine Uhrenkette baumelte bei jeder Wischbewegung, die er mit einem dreckigen Leinen in seiner Rechten ausführte. Ich spürte seine Blicke auf meiner Brust. Schwarz-Weiß-Fotografien hingen rechts und links der Regale, die mit Alkoholika vollgestellt waren, an der Wand. Auf den meisten sah ich Männer, die sich entweder neben

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