Fraeulein Jensen und die Liebe
gesehen, da es ja immer an verschiedenen Orten gespielt wird. Oh Gott, zwölf Mal. Pia hat also mal wieder recht: Für verkleidete Menschen, die drei Stunden lang so tun, als seien sie Vampire, habe ich inzwischen wirklich ein Vermögen ausgegeben.
Egal, für die Liebe muss man bereit sein zu geben. Nicht nur emotional, sondern auch ganz banal in finanzieller Hinsicht. Irgendwann werde ich sicher eine der Frauen sein, die bedröppelt bei »Stern TV« sitzen und erzählen, warum sie damals den Kredit ihres Mannes mitunterschrieben haben und wie sie die monatlichen Ratenzahlungen von 1234,80 Euro bewältigen, nachdem der Mann über alle Berge ist.
Ich finde, wenn man schon liebt, sollte man das mit allen Sinnen tun. Und mit allen Konten. Aber zurück zum Grafen. Er heißt mit bürgerlichem Namen Kevin Tarte, ist ein amerikanischer Musicalstar (Karriere am Broadway inklusive!), sieht unwahrscheinlich gut aus und hat die zauberhafteste Stimme, die ich je gehört habe. Das alles sollte ich vielleicht noch erwähnen.
»Du meinst, den soll ich suchen?«, frage ich Pia.
»Warum nicht? Schließlich ist er jeden Morgen Teil deines Lebens.«
Mmh, leuchtet ein.
»Und außerdem bist du der größte Musicalfan, den ich kenne. Für dich müsste es doch nichts Schöneres geben, als mit einem echten Musicalstar zusammen zu sein, oder?«
Pia trifft meinen Nerv. Von »Cats« bis »Starlight Express« – ich habe sie alle gesehen und furchtbar geweint, als die Katze Grizabella von den anderen Katzen ausgestoßen und erst im zweiten Akt wieder aufgenommen wurde. Nachdem ich »Starlight Express« gesehen hatte, wollte ich Rollschuh laufen lernen und habe schon während der ersten Gehversuche »Starlight Express, Starlight Express. Wo bist du? Sag es mir« gesungen.
Stefan habe ich sogar gebeten (Pia nennt es »gezwungen«), mit mir das Liebesduett vom Phantom der Oper nachzusingen.
»Na, zum Glück muss er dabei nicht auch noch eine Maske tragen«, hatte Pia gesagt, als ich mich mal wieder darüber beschwerte, dass Stefan sich zunehmend weigerte. »Obwohl, das könnte man dann fast schon als sexuellen Fetisch werten«, hatte Pia gesagt und gelacht.
»Wenn ich es mir recht überlege«, sage ich. »Du hast recht: Der Vampir ist es.«
Ich strahle.
»Hannah, wir haben von einem Mythos gesprochen, dem wir auf den Grund gehen. Diesen Vampir gibt es nicht.«
»Natürlich gibt es ihn nicht«, sage ich entrüstet. Pia denkt womöglich, dass ich auch noch an den Weihnachtsmann glaube. Ich weiß, dass es keine Vampire gibt. Aber dieser Kevin Tarte spielt seine Rolle so einfühlsam, dass er sicher auch in Wirklichkeit ein Traum von einem sensiblen und verständnisvollen Mann ist.
Ich sehe schon, wie er mich morgens mit den Vampirzähnen im Mund weckt (ich schreie auch nach Jahren noch vor Entzücken auf) und dann sagt: »Und nun, meine Dame, darf ich Sie zum Frühstückstisch meines Schlosses geleiten?« Woraufhin wir gemeinsam erhobenen Hauptes im Schlafanzug in die Küche schreiten. Würdevoll.
»Ja, der ist es. Ich will ihn treffen. Er ist Traummann Nummer eins. Wo spielt das Musical eigentlich gerade?«, frage ich.
Pia holt ihr weißes Notebook hervor (ich könnte jedes Mal vor Neid erblassen) und strahlt mich nach zehn Sekunden Recherche im Netz an. »Das wird ein Traum. In Oberhausen!«
Ich gebe zu, dass ich mir meine Zukunft etwas anders vorgestellt habe. Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich drei mögliche Lebensszenarien:
1. Ich sitze auf den Stufen zu einem kleinen viktorianischen Haus im Londoner Westend (MEINEM kleinen viktorianischen Haus im Londoner Westend!) und warte mit verbundenen Augen darauf, von Jude (Law) und unseren drei wunderschönen Kindern hereingerufen zu werden. Sie haben Waffeln gebacken, und ich darf erst hereinkommen, wenn unser Esstisch aus weißem Marmor (ein Hochzeitsgeschenk von Judes Großmutter, wir haben uns so gefreut!) fertig gedeckt ist.
2. »Baby, bist du fertig für die Show?« Ben (Affleck) macht aber auch wieder Stress. Mein Gott. Wir kommen schon noch rechtzeitig. Es ist gerade New York Fashion Week und wir sind zur Preview der neuen Marc-Jacobs-Show eingeladen. Warum muss Ben bloß immer so eine Hetze verbreiten? Sienna (Miller) hat schließlich versprochen, uns einen Platz in der »front row« freizuhalten. Ich will meinem Ärger gerade Luft machen, da spüre ich seine Handgelenke an meinem Nacken. Ben legt mir eine smaragdgrüne Kette um den Hals.
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