Fraeulein Jensen und die Liebe
(»irgendwas mit Medien«), wie sie Köln fand (»die Leute sind echt super offen«), dass sie nur einmal in Hamburg war (Tante einer Freundin besucht) und dass sie schon drei Jahre mit Tobias zusammen war (»den wirst du auch mögen«).
In Hamburg muss man für gewöhnlich Jahre befreundet sein, um nach und nach all diese Dinge zu erfahren. Ich mochte Karen und ich mochte Köln. Und auch Tobias begrüßte mich, als wenn wir uns schon Jahre kennen würden.
»Dann fahren wir mal los«, sagte Karen. »Fährst du bei Tobias mit?«
Man darf nicht mit Fremden mitgehen, hatte meine Mutter mir immer eingebläut. Ob das auch für den Gepäckträger von Tobias galt?
Eine Sekunde später fuhr ich mit meinen beiden neuen Freunden an den Aachener Weiher. Überall lagen Studenten in der Sonne, grillten, spielten Gitarre oder tranken Bier. Wir legten uns einfach so dazwischen und ein bisschen kam es mir vor wie Woodstock ohne Regen. Ein wahrer Jungbrunnen, diese Atmosphäre. Unkompliziert, offen und unheimlich inspirierend.
Nach ein paar Stunden verabschiedeten wir uns voneinander, als seien wir schon jahrelang befreundet.
Ach herrlich. Ich schwebe zurück ins Hotel. Kaum bin ich einen Tag hier, habe ich schon neue Freunde gefunden. Ich möchte fast sagen: Ich bin fester Bestandteil einer eingeschworenen Clique. Das wird sicher auch Joscha gerne hören. Denn das nimmt ihm (und uns) den Druck, dass ich mich sofort mit seinen Freunden gut verstehen muss, da ich ja sonst noch niemanden in Köln kenne. Nein, ich bin freundesmäßig total unabhängig und selbständig. Klar können sich unsere zwei Freundeskreise irgendwann kennenlernen. Aber ich bin nicht auf seine sozialen Kontakte angewiesen. Denn: Ich habe eigene!! Hah!
Grundgütiger! Ich hätte nicht in den Badezimmerspiegel sehen dürfen. Vor mir: eine Person, die zwei riesige runde weiße Flecken um Augen und Brüste hat und ansonsten einem Krebs zum Verwechseln ähnlich sieht. Mir kommt spontan die Assoziation »dänische Flagge« in den Sinn.
Ich habe den dummen Verdacht, dass ich diese Flagge bin. Das darf nicht wahr sein. Ich sehe aus wie auf einem Plakat im Wartezimmer eines Hautarztes, bei dem Kinder hysterisch anfangen zu weinen.
Warum sieht man immer erst in geschlossenen Räumen, dass man zu einem einzigen Sonnenbrand mutiert ist? Ich habe doch am Aachener Weiher mehrmals ausführlich meine Speckröllchen begutachtet. Da hätte es mir doch auffallen müssen, dass diese Speckrollen und die Regionen drum herum gerade verbrennen wie ein Schnitzel. Wie viele Mallorcaurlauber sind wohl schon in ihren Hotelzimmern deswegen zusammengebrochen? Mein Gott, in jedem Hotel muss ein psychologischer Dienst angeboten werden. Das ist ja eine Marktlücke. Doch was viel wichtiger ist: Übermorgen treffe ich Joscha. Es ist wohl schwer machbar, noch eine großflächige Hauttransplantation bis dahin zu organisieren.
Dann also: Schadensbegrenzung. Ich verhülle mich mit zwei Schals, als wäre ich Madonna, die unerkannt durch Köln schlendern will, und gehe auf direktem Weg zur nächsten Parfümerie. Ich werde mein gesamtes Hab und Gut in After-Sun-Produkte investieren. Koste es, was es wolle. Bis übermorgen muss ich wieder ohne meine Burka-Konstruktion auf die Straße gehen können.
»Wann, haben Sie gesagt, ist Ihr Termin?« Simone Schreiner sieht in mein Gesicht und kann das Entsetzen in ihrer Stimme nicht verbergen. Simone Schreiner ist Verkäuferin in der nächsten Douglas-Parfümerie, laut Namensschild »Visagistin und Beauty-Expertin« und dafür zuständig, mein »Lieber-Joscha-ich-kann-leider-nicht-kommen-weil-ich-ein-Krebs-geworden-bin«-Schicksal in letzter Minute abzuwenden.
»Übermorgen«, flüstere ich und drehe mich verschämt von zwei Damen mit Porzellanteint weg, die sich genau neben mir nach einer »unkomplizierten Feuchtigkeitscreme« erkundigen. Blöde Schnepfen.
»Schwierig, aber machbar«, sagt Frau Schreiner mit gedämpfter Stimme. »Bleiben Sie hier, ich kümmere mich um alles Weitere.«
Ich starre konzentriert auf den Boden, bis Frau Schreiner mich nach einer halben Ewigkeit erlöst.
»Ich habe mal eine Kleinigkeit zusammengestellt.« Gott bewahre. Frau Schreiner denkt in anderen Dimensionen. »Eine Kleinigkeit« sind bei ihr vier Tiegel, drei Cremes, zwei Masken und eine Feuchtigkeitskompresse. Will diese Frau einen ganzen Kontinent vor Sonnenbrand schützen?
Sie sieht meinen entsetzten Gesichtsausdruck und sagt mit scharfer Stimme:
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