Fraeulein Jensen und die Liebe
meinen, dass ich sonst jeglichem Spaß und Luxus im Leben entsagen würde und ein Dasein mit Salat ohne Dressing friste und dann irgendwann erleichtert eine Currywurst mit den Worten »Man muss sich auch mal was gönnen im Leben« in mich hineinschiebe. Wenn ich ehrlich bin: Ich sage diesen Satz ziemlich oft. Wahrscheinlich ist es nicht übertrieben, ihn als mein Lebensmotto zu bezeichnen. Ich gönne mir eigentlich ständig irgendetwas. Ich habe kein Problem damit, aus einem Wellness-Tempel zu kommen und im Schaufenster nebenan ein sündhaft teures Kleid zu sehen – und natürlich sofort zu kaufen. Meine Eltern sind an ihrem ersten Hochzeitstag mit dem Fahrrad ins 30 Kilometer entfernte Husum gefahren und haben dort ein Fischbrötchen am Hafen gegessen. Ich sehe mich an meinem ersten Hochzeitstag eigentlich irgendwo in der Karibik liegen. Mit Joscha an meiner Seite? Oh Gott, er kann einem sicher schön den Rücken eincremen. (Lydia hat er in einer Folge auch mal den Nacken massiert, das sah unwahrscheinlich sinnlich aus.)
In diesem Sinne: Man muss sich auch mal was gönnen. Köln, ich komme.
Ich liebe Köln. Ich liebe den Sommer. Ich liebe den Aachener Weiher. Ich liebe das grüne Gras unter mir. Ich liebe es, dass ich vollkommen enthemmt mein T-Shirt ausgezogen habe und selbstbewusst der Welt meinen rosa BH und meine zwei kleinen Speckröllchen zeige. Das Beste: Ich schäme mich nicht dafür. Das Leben kann so schön sein. Aber von vorn.
Als ich in Köln ankam, fragte ich mich sofort zum Rudolfplatz durch. Zum Platz, an dem ich also neue Freunde finden sollte. Ich wusste zwar nicht, wie das gehen sollte. Aber bitte: Ich war offen für Neues. Für neue Liebschaften zwar nicht unbedingt (ich würde ja bald wieder in festen Händen sein, hihi), aber Freunde? Immer her damit!
Der Rudolfplatz ist eine einzige große Kreuzung. Von links kommt eine zweispurige Fahrbahn, von rechts kommt eine zweispurige Fahrbahn, von hinten kommt eine zweispurige Fahrbahn plus Straßenbahn, von vorne kommt eine zweispurige Fahrbahn plus Straßenbahn. In der Mitte dieser Riesenkreuzung steht vollkommen verloren ein römisches Tor, das verzweifelt darauf wartet, von einem Trupp Bauarbeiter abmontiert und irgendwo anders, nur ja nicht hier auf dieser Kreuzung, wieder aufgestellt zu werden.
Ich hatte mir den Rudolfplatz als lauschigen, kleinen Platz vorgestellt. Mit Bänken am Rand, auf denen sich junge Leute angeregt unterhalten. Mit Bäumen, die Schatten spenden, und mit ein paar alten Männern, die in der Mitte Boule spielen und nebenbei Weisheiten über das Leben von sich geben. Wie kann man nur »Rudolfplatz« heißen, wenn man in Wirklichkeit eine »Rudolfkreuzung« ist? Wenn alles in Köln eine solche Mogelpackung ist, dann mal gute Nacht. Aber nun, ich wollte mich drauf einlassen und stellte mich tapfer unter das römische Tor. Wohin auch sonst? Auf den Grünstreifen zwischen Fahrbahn sechs und sieben?
Normalerweise ist es nicht so mein Ding, irgendwo alleine zu sein. Als ich einmal alleine im Café war, hat mich das so fertiggemacht, dass ich froh war, als ich plötzlich die Gebrauchsanleitung von meinem neuen Navigationsgerät in der Handtasche fand. Endlich hatte das Sitzen im Café einen Sinn. Seitdem beherrsche ich das Gerät in Perfektion und könnte eigentlich sofort im Außendienst dieser Firma anfangen.
Am Rudolfplatz hielt ich für meine Verhältnisse ungewöhnlich lange durch. Erst nach einer Stunde entschied ich mich, in die Offensive zu gehen und ein Mädchen anzusprechen, das drei Meter neben mir am anderen Ende des Römertors stand. Sie wartete offensichtlich auf jemanden, denn sie schaute jede Minute auf die Uhr. Oder suchte sie auch nur neue Freunde?
»Hallo«, sagte ich. »Kennst du dich hier in Köln aus?«
»Ja klar«, sagte sie und lächelte. Nett.
»Ich bin neu hier und würde mich gerne hier irgendwo in die Sonne setzen. Hast du einen Tipp?«
»Da bist du hier am Rudolfplatz falsch.« Sie lachte. (Hah, ich war also nicht allein mit meiner Rudolfkreuzungseinstellung.) »Du musst zum Aachener Weiher, der ist direkt neben der Uni. Es gibt einen Weiher, eine grüne Wiese und einfach ’ne gute Stimmung. Wenn du Lust hast, kannst du mit uns kommen. Ich warte nur auf meinen Freund Tobias. Dann fahren wir gleich los.«
Das Mädchen war eine Rheinländer Seele. Nach nur zehn Minuten wusste ich, wie sie hieß (Karen), was sie studierte (Germanistik), was sie nach dem Studium machen wollte
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