Fraeulein Jensen und die Liebe
Lieblingsfilm.«
»Soll ich das so etwa sagen?«, fluchte ich den Hörer.
»Mein Gott, Hannah. Streng dich halt ein bisschen an. Du kannst die Infos ja stückweise einbauen, irgendwie ergibt sich schon die Gelegenheit. Warte, der Empfang wird schlecht, ich melde mich später noch mal.«
Ich krame mein Handy aus der Tasche. Sicher will Pia mir mitteilen, dass Joscha Kiefer in seiner Freizeit nicht nur Snowboard fährt, sondern auch noch gerne wandert. Und jetzt soll ich ihm durch die Blume verklickern, dass ich für mein Leben gern regelmäßig durch den Himalaja stapfe. Jetzt schon frustriert, öffne ich die SMS.
Oh Gott.
Sie ist von Joscha.
»Komme fünf Minuten später.«
Moooooooooment mal. Der ist gar nicht in seiner Wohnung? Er öffnet nicht gerade den Champagner? Er guckt nicht gerade auf dem Weg zur Haustür noch einmal in den Spiegel und fragt sich: »Ob ich wohl gut genug aussehe für Hannah Jensen?« Das darf doch nicht wahr sein.
Okay, Ruhe bewahren. Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder ich warte vor der Haustür und sage, wenn er kommt, so etwas Geistreiches wie: »Häh, hallo, ja, da bist du ja, äh, ich steh hier rum und warte«, oder aber ich setze mich in das Eiscafé, nehme seine Verspätung souverän und gelassen hin und sage dann: »Huch, da bist du ja. Kein Problem, dass du zu spät bist. Ich hab’s mir in der Zwischenzeit gemütlich gemacht, du hättest ruhig noch etwas später kommen können. Du musst wissen: Ich bin nämlich total unkompliziert und flexibel.«
Spontan entscheide ich mich für die zweite Option. Würdevoll betrete ich das Eiscafé. So würdevoll, wie man ein Eiscafé in einer englischen Arbeiterstadt, äh, Köln-Ehrenfeld, eben betreten kann.
11.05 Uhr
Vor fünf Minuten kam die »Komme fünf Minuten später«-SMS. Mein scharfsinniger Verstand sagt mir, dass es also genau in diesem Moment passieren müsste: Joscha wird am Fenster vorbeieilen (ihm ins Gesicht geschrieben ist das schlechte Gewissen, dass er mich hat warten lassen), ich werde an die Scheibe klopfen, kurz winken, er kommt rein, wir umarmen uns ganz selbstverständlich und er sagt: »Wollen wir gleich nach oben gehen? Zu mir?«
Leider passiert von alldem nichts. Das Einzige, was ich durch die Scheibe beobachten kann, ist eine alte Dame, die schwerfällig mit ihrem Rollator die Straße überquert.
11.10 Uhr
Von Joscha immer noch keine Spur. Mich würde nicht wundern, wenn gleich ein Büschel Stroh wie in alten Western durch die Straße wehte, das signalisiert: Hier ist mal so gar nichts mehr los.
Ich sitze direkt am Fenster, neben mir steht eine kleine Plastikpalme und schräg hinter mir sitzt der einzige Gast: ein älterer, dicker Mann mit Hund. Ich merke, dass ich unverhohlen zur Tür starre. Halt, ich darf nicht starren. Denn das sieht so aus, als würde ich warten. Natürlich warte ich. Aber offiziell genieße ich die Zeit und bin furchtbar entspannt.
11.15 Uhr
Die Kellnerin bringt mir einen Milchkaffee. Wenn ich zufrieden in einem frischen Milchkaffee rühre, wenn Joscha mich entdeckt, unterstreicht das noch einmal die Behauptung, dass ich überhaupt nicht warte, sondern mich richtig wohlfühle. Ich fange an, ganz langsam im Milchschaum zu rühren.
»Tatjana, machste mir auch noch so einen Milschkaffee?«, ruft der dicke Mann mit dem Hund der Kellnerin zu. Diese nickt. Der Mann nickt mir zu. Ich nicke zurück. Und starre auf die Tür. Und auf mein Handy. Verdammt, wo bleibt der denn? Langsam werde ich nervös. Der Mann lacht. »Warten Se auf jemanden, junge Dame?«
11.30 Uhr
Der Mann heißt Heinz und der Hund Herr Fritz. Ich weiß inzwischen von Heinz, dass er gelernter Flugzeugmechaniker, seit fünf Jahren aber in Rente ist. Seine Frau Irene will unbedingt nach Spanien auswandern. Nach Malaga. Oder »Barzelona«. Aber Heinz will nicht. »Könn Se mir sagen, wat isch da soll? Mein Herz schlägt fürs Rheinland. Natürlisch schlägts auch für Irene. Aber isch hab in meinem Leben allet für dat Irene gemacht, jetzt muss sie sisch mal nach mir richten.« Heinz lacht. »Mer bleibe in Kölle.« Er lacht wieder.
11.35 UHR
Ich friere. Zum ersten Mal im Leben wollte ich nicht die Frau im Wollpullover sein. Zum ersten Mal wollte ich die Frau sein, bei der andere denken: Friert die nicht?
Wenn Kate Moss in meinem Kleid zu den Prêt-à-porter-Schauen in Paris gehen würde, würden die Zeitungen am nächsten Tag schreiben: »Sie kam in einem Hauch von nichts.« Doch leider bin ich weder Kate Moss,
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