Fraeulein Jensen und die Liebe
dass ich zu ihm nach Hause kommen soll. Aber wenn man sich nur lange genug einredet, dass er wahrscheinlich am Eingang neben dem Schuhregal fertige Pressemappen liegen hat, hat man eine wunderbare Erklärung parat, wenn aus der ganzen Sache doch nichts wird. Mit dieser Methode ist man herrlich vor Enttäuschungen geschützt. Als Stefan mir nach dem dritten Semester eine silberne Kette mit einem Herz als Anhänger schenkte, redete ich mir ein, dass es nichts, aber auch absolut gar nichts zu bedeuten hätte. Als er dann tatsächlich nach unserem gemeinsamen Toskana-Urlaub zwei Jahre später mit mir Schluss machte, sagte ich zu Pia mit ernster Miene: »Siehst du, die Kette damals hatte er auch nur zufällig in der Tasche und wusste nicht, wem er sie sonst geben sollte.«
Wenn die Dinge allerdings anders verlaufen wären und Stefan mir während des Toskana-Urlaubs einen Antrag gemacht hätte, hätte ich natürlich die Kette als Vorbotin für Größeres gedeutet. »Siehst du«, hätte ich zu Pia gesagt. »Schon in dem Moment, als er mir die Kette schenkte, wusste ich, dass es bald so weit sein würde.«
Joschas Wohnung liegt in einer kleinen Reihenhaussiedlung in Köln-Ehrenfeld. Ziemlich unglamourös. Unprätentiös. Unschön. Wie doof, wenn einem nur Worte mit der Vorsilbe »un« einfallen. Die Straße erinnert mich an englische Arbeiterstädte. Gleich kommt mir bestimmt ein armer Junge entgegen, dessen Vater den Job im Bergbau wegen der Industrialisierung verloren hat und der nun furchtbar traurig und verloren in einem weißen Unterhemd durch die Straßen streunt. Na ja, wir müssen ja nicht ewig hier wohnen, denke ich, während ich nach der Hausnummer suche. Da plötzlich, da ist es: ein kleines Mehrfamilienhaus, im Erdgeschoss ein kleines Eiscafé.
Ich gehe am Eiscafé vorbei und erreiche die Eingangstür.
»Kiefer« steht auf einem der Klingelschilder. Wie harmlos es da steht. Kiefer. Hätte nicht »Traummann« draufstehen können? Mit zittrigen Fingern drücke ich auf die Klingel. Nur wenige Treppenstufen trennen mich vom großen Glück.
Ich warte. Nichts passiert. Sicher dauert es ein wenig, bis er den Champagner aus dem Kühlschrank geholt und in zwei zarte Gläser gefüllt hat. Ich warte geduldig. Wie begrüße ich ihn bloß? Wir treffen uns bei ihm zu Hause, das hat ja doch schon etwas Intimes. Vielleicht sollte ich ihn umarmen? Nein, ich kenn ihn ja gar nicht. Und er soll nicht denken, dass ich leicht zu haben bin und er nicht um mich kämpfen muss. Vielleicht zwei Küsschen auf die Wange? Aaaaaaaaah, ich überlege ernsthaft, ob ich Sebastian Graf von Lahnstein aus »Verbotene Liebe« küssen soll. Den Sebastian, den ich jeden Tag im Fernsehen sehe. Wie wunderbar ist das denn bitte? Ich warte und starre auf den Türknauf. Geh auf, geh auf, geh auf, beschwöre ich dieses dumme runde Stück. Nichts passiert. Plötzlich piept mein Handy, eine SMS. Sicher ist es Pia, die mir noch schnell viel Glück wünschen will. Dass ich mit Joscha zusammenkomme, liegt schließlich ganz in ihrem Interesse. Sie hat mich heute schon vier Mal angerufen, um mir weitere Informationen durchzugeben, die sie inzwischen recherchiert hatte.
»Backoffice an Außendienst«, kicherte sie in den Hörer, als ich gerade mit Karen und Tobias auf der Wiese lag. »Hast du was zu schreiben?«
Ich notierte, was Pia mir hektisch durchgab. Joschas Sternzeichen war Schütze, als Hobbys gab er »guter Wein« an, er fuhr gerne Snowboard, aß am liebsten koreanisch und sein Lieblingsfilm war »Motorcycle Diaries«.
»Machst du Witze?«, fragte ich entsetzt. Bis auf das Sternzeichen konnte ich mit nichts davon etwas anfangen. Ich kann guten Wein nicht von Fusel unterscheiden, stand noch niemals auf einem Snowboard und habe das in den nächsten fünfzig Jahren auch nicht vor, ich war noch niemals koreanisch essen und der Film sagte mir schon einmal gar nichts. Und trotzdem sollte ich laut Amors Botin Pia das Gespräch irgendwie galant auf diese Dinge bringen.
»Joscha, ich weiß ja nicht, wie du es siehst, aber ich finde ja guten Wein enorm wichtig. So ein guter Tropfen auf der Zunge – ach, das ist einfach herrlich. Und dazu, nun, ich sag mal, koreanisches Essen – das ist ein Traum. Ach ja, bevor ich es vergesse: Ich will im Winter wieder Snowboard fahren, ich liebe das. Wenn du möchtest, kannst du gerne mitkommen. Wir können uns auf der Skihütte sicher auch den Film »Motorcycle Diaries« ausleihen. Du musst wissen, das ist mein
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