Fraeulein Jensen und die Liebe
erst später aufs Zimmer. Ich werde noch etwas durch München bummeln. Ich bin zum ersten Mal hier.« Und natürlich kann ich es mir nicht verkneifen, »Aber vielleicht bin ich bald öfter hier« hinterherzuschieben und ihr zu zuzwinkern. Und, ich weiß nicht, warum plötzlich diese Worte aus meinem Mund kommen: »Ich bin sozusagen Stéphanie von Monaco.«
Nein. Was habe ich gesagt? Sie muss mich für verrückt halten. Ich lache nervös und frage mich, wie ich das Ganze retten kann. Doch die Frau nickt nur milde und verständnisvoll und sagt: »Ich verstehe.«
Hah, daran erkennt man gute Hotels. Auch wenn der Angestellte keine Ahnung hat, um was es geht: auch dem noch so irre scheinenden Gast immer das Gefühl geben, verstanden zu werden. Ich bin gerade dabei, die Lobby zu verlassen, da ruft sie mir hinterher: »Ich gebe Ihnen noch einmal eine Karte von unserem Haus mit.« Nun bin ich diejenige, die nichts versteht. »Ich habe Ihnen Ihre Zimmernummer aufgeschrieben, manchmal, wenn es spät wird, nun ja, und manchmal trinkt man ja auch, und, na, Sie wissen schon.« Sie kichert. »Vielleicht freuen Sie sich auf jeden Fall morgen früh, wenn Sie die Karte dabeihaben und wissen, wo Sie hinmüssen.«
Moment mal. Da lobe ich diese Frau gerade für ihr vorbildliches Verhalten, und im nächsten Moment drückt sie mir eine Karte in die Hand, damit ich im Suff heute Nacht noch die Orientierung behalte? Was denkt sie eigentlich von mir? Habe ich etwa ein Schild um den Hals: »Ich verbringe heute wahrscheinlich eine aufregende Nacht in einem Wohnwagen, und morgen früh habe ich vor lauter Liebestaumel keinen Schimmer mehr, in welchem Hotel ich gestern eingecheckt habe. Ich bin nämlich auch nicht so helle.«
Aber ich reiße mich zusammen und will ein guter Gast sein: auch dem noch so irren Hotelangestellten das Gefühl geben, ihn zu verstehen.
»Ja, danke. Bis später«, sage ich ziemlich nüchtern und verlasse mit festen Schritten die Lobby. Jedenfalls von hinten soll es so aussehen, als hätte ich alles unter Kontrolle.
Der Viktualienmarkt macht alles wieder gut. Er sieht aus wie Postkarten, die meine Eltern regelmäßig aus dem Urlaub verschicken. Gut angezogene Kinder gehen brav neben ihren Eltern her, Frauen tragen Strohkörbe, aus denen weiße Lilien und grüne Lauchblätter wie eine Komposition von van Gogh herausragen, und die Marktfrauen schnattern mit ihren tiefen Stimmen freundlich durcheinander. Schön ist es ja, denke ich. Aber auch ein wenig spießig. Doch wahrscheinlich bin ich später froh, wenn ich zwischen dem ganzen Rumreisen und den Abenteuern in der weiten Welt eine verlässliche Heimatbasis habe. Die darf dann ruhig etwas konservativ sein.
Noch eine Stunde bis zum Interview; ich muss mich auf den Weg machen. Es geht in den Kampf. Oder sollte ich besser sagen: in die Manege?
Willkommen im neuen Leben. Ich bin auf dem Gelände des Zirkus Krone angekommen. Es liegt am Rande von München, und es ist der Ort, an dem Träume wahr werden. Vor allem meine Träume. Aus den Lautsprechern tönt Marschmusik, Kinder mit Popcorn in den Händen strahlen ihre Omas an und es riecht nach Zuckerwatte. Zuckerwatte! Das habe ich ja schon ewig nicht mehr gerochen. Geschweige denn gegessen. Das letzte Mal auf dem Jahrmarkt in Husum, 1993. Pia und ich, beide dreizehn, fuhren jeden Nachmittag nach der Schule mit dem Bus zum Jahrmarkt, da wir uns schon am ersten Tag in Maik und Marcel von der Autoscooter-Familie verliebt hatten. Die Zukunft war gesichert. Marcel hatte mit seinem Onkel Lutz vom Dosenwerfen besprochen, dass wir da mithelfen könnten, und Wohnen sei auch kein Problem. Maik und Marcel hatten jeder eine 90-mal-200-Matratze. Als der Jahrmarkt nach fünf Tagen weiter nach Flensburg ziehen musste, fragten wir unsere Eltern, ob wir die Schule abbrechen dürften, um uns mit Maik und Marcel eine neue Existenz aufzubauen.
Es ist jetzt gleich halb drei. Jeden Moment müsste mich die Pressesprecherin abholen. Aufgeregt gehe ich vor dem Eingang auf und ab. Ich atme den Duft von Zuckerwatte ein und fühle mich wie dreizehn. Wie herrlich leicht das Leben doch sein kann! Herrlich leicht und unkompliziert: Und genauso sehe ich aus. Mit Pia habe ich gestern Abend die alles entscheidende Klamottenfrage geklärt. Wir konnten uns zunächst nicht zwischen Gummistiefeln (Signal: Ich kann mit anpacken) und einem Tutu aus alten Ballett-Tagen (Signal: Ich kann in der Vorstellung mitwirken) entscheiden. Schließlich kramte
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