Fraeulein Jensen und die Liebe
Halsketten.
»Das war vor zehn Jahren«, sagt Pia. »Seitdem hast du keinen Zeltplatz mehr aus der Nähe gesehen, soweit ich mich erinnern kann.«
Pia hat recht. Schon einen Monat nach unserem Spanien-Urlaub lag ich mit Pia in einer Wellness-Lounge, und während zwei Massage-Götter uns durchkneteten, beschlossen wir, dass funktionierende Toiletten, fließend Wasser und ein wenig Luxus irgendwie besser zu uns passen als Plumpsklos und »Geht mal rüber zum Wohnmobil vom Matze, der hat noch ein paar Brote übrig«. Letztens habe ich sogar mal in meinem Internetprofil eines Netzwerks »Zeltmuffel« in der Kategorie »Über mich« geschrieben. Könnte ein fataler Fehler gewesen sein. Denn neulich hat der Moderator in so einer ZDF-Ratgebersendung nach einem Beitrag bedrohlich ernst in die Kamera gesehen und gesagt: »Bedenken Sie also, welche Informationen Sie im Internet von sich preisgeben. Denn machen Sie sich eins bewusst: Das Internet vergisst nichts.«
Herzlichen Glückwunsch. Das kann ja heiter werden.
Aber wer weiß, vielleicht hatte ich in genau diesen sechs Wochen in Spanien den einzig lichten Moment in meinem Leben und spürte damals tief im Innern, für was ich eigentlich gemacht war. Und genau dieses »Ich« bricht nun zehn Jahre danach aus mir heraus.
Ich würde sagen: Ja, ich bin bereit. Für ein Leben mit Martin. In seinem Wohnwagen.
»Das ist er«, rufe ich in den Hörer. »Ich habe ein richtig gutes Gefühl. Leider kann ich dir meine neue Festnetznummer nicht geben. Denn wir haben im Wohnwagen nur ein Handy.« Kichernd lege ich auf.
In München ist es warm. Viel wärmer als in Hamburg. Und es ist windstill. Viel windstiller als in Hamburg. Ich glaube, mir gefällt München, denke ich, als ich vor dem Hauptbahnhof stehe. Mir ist nämlich grundsätzlich immer kalt. Und das, obwohl ich laut Herkunftsland (herrje, das klingt, als wäre ich ein Ei und müsste mich zwischen Boden, Freiland und Bio entscheiden) nie frieren dürfte. Auch wenn meine Hautfarbe nicht heller sein könnte, würde es mich nicht wundern, wenn irgendwann ein schwarzer Rastamann vor meiner Haustür steht und in gebrochenem Deutsch sagt: »Ich sein dein Vater.«
Meine Mutter bestreitet diese Theorie vehement, doch für meine klimatischen Beschaffenheiten hat auch sie keine Erklärung. Ich liebe es, mich im Sommer in ein schwarzes Auto zu setzen, das den ganzen Tag in der prallen Sonne stand und in dem noch nicht gelüftet wurde. Und im Winter, oh Gott, das ist jetzt wirklich eine Offenbarung, trage ich nachts eine Mütze. Die Wärme wird schließlich zu 80 Prozent über den Kopf abgegeben, wie ich irgendwann in der Apotheken-Rundschau gelesen habe. Zumindest die Wissenschaft ist auf meiner Seite.
Wenn ich in einer Beziehung bin, versuche ich tapfer, in den ersten Wochen auf die Mütze ganz zu verzichten. Wenn die Temperatur aber niedriger und die Beziehung fester wird, geht es in die zweite Mützenphase. Heißt: den Freund zunächst in Sicherheit wiegen und – scheinbar! – gemeinsam einschlafen. Nach einer halben Stunde (schnarchende Freunde sind für diese Methode Gold wert!) schnell die Mütze aufsetzen und selbst einschlafen. Am Morgen muss man es dann irgendwie schaffen, eine halbe Stunde früher aufzuwachen und die Mütze wieder unter dem Bett zu verstauen. Funktioniert eigentlich hervorragend. Nur Jens hat einmal den Schock seines Lebens bekommen, als er nachts aufwachte und mich mit Mütze neben sich liegen sah.
»Für den Anblick brauche ich sicher eine Therapie«, sagte er am nächsten Morgen. Einen Monat später verkündete er, dass er noch an Franziska hing. Dummes Stück. Aber: nicht in der Vergangenheit hängen. Die Zukunft gehört Martin.
Mein Hotel liegt direkt neben dem Viktualienmarkt. Es ist klein, es ist verputzt (nirgends sehe ich norddeutsche Backsteine), und als ich die Empfangslobby betrete, begrüßt mich die Frau an der Rezeption (im Dirndl! Die hat wirklich ein Dirndl an!) mit einem deftigen »Grüß Gott«. Wahrscheinlich bietet sie mir gleich Weißwürste an. Kinder, ist das schön. »Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt. Und auf Urlaub«, summe ich, während ich den Schlüssel nehme. Ich will gerade auf mein Zimmer gehen, als mir auffällt, dass ich bis zum Interview noch zwei Stunden Zeit habe. Eigentlich könnte ich mir doch gut noch ein wenig München ansehen. Schließlich war ich noch nie hier.
Ich gebe der Frau an der Rezeption den Schlüssel zurück.
»Ich gehe
Weitere Kostenlose Bücher