Fraeulein Jensen und die Liebe
ich eine Jeanshose (unverfänglicher Bootcut, eine Röhre wäre zu stylish, entschied Pia) aus dem Schrank und eine Sweatshirtjacke aus 100 Prozent Baumwolle, für 90-Grad-Maschinenwäsche geeignet. Signal: Ich bin unkompliziert. Mit mir kann man Pferde stehlen (und durch die Welt reisen).
Ich denke gerade darüber nach, ob wir wohl auch mal ins Ausland fahren würden, da sehe ich eine Frau, die direkt auf mich zukommt.
»Frau Jensen?« Sie gibt mir die Hand.
Die Pressesprecherin ist eine kleine, runde Frau und lächelt so nett, dass ich mich sofort bestätigt fühle. Ich wusste es doch: Hier bin ich richtig.
»Kommen Sie erst einmal in mein Büro, Martin hat gerade noch mit dem Baby zu tun«, sagt sie.
Mit dem Baby, denke ich schmachtend, während wir den Eingang passieren und sie mich durch ein paar Gänge in ihr Büro leitet. Wie süß, jetzt gibt er gerade einem kleinen Löwenbaby die Flasche. Wahrscheinlich sitzt er dabei auf einer kleinen, wackeligen Holztreppe, die zu seinem Wohnwagen führt, und sieht sehnsüchtig in die Ferne. Wenn doch nur jemand neben mir sitzen würde, wird er denken. Ach Martin, wenn du wüsstest. Ich bin ja bald da.
»Haben Sie gehört? Martin verspätet sich, er hat eben angerufen. Vielleicht kann ich Ihnen ja schon einmal vorab ein paar Informationen geben.«
Vorab ein paar Informationen. Wenn ich das schon höre. Typisches Pressedeutsch. Jetzt drückt sie mir sicher gleich eine Mappe mit Statistiken und neusten Studien über die Arbeit mit Wildtieren in die Hand. Wie mache ich ihr nur klar, dass es hier um etwas ganz anderes geht? Um die Liebe!
»Hat Herr Lacey eigentlich viele weibliche Fans?«, frage ich vorsichtig und möglichst beiläufig.
Die Sprecherin sieht mich ein wenig erstaunt an. Wahrscheinlich hat sie geglaubt, ich würde mich erst einmal nach den gesetzlich festgeschriebenen Kriterien für eine artgerechte Aufzucht erkundigen.
»Ich muss ja auch den Menschen Martin Lacey ein wenig kennenlernen«, erkläre ich schnell.
»Ja, natürlich, kein Problem. Und um auf Ihre Frage zu antworten: Er ist ein richtiger Frauenschwarm. Jeden Tag kommt ein Stapel Fanpost bei mir an. Den Ansturm kann man gar nicht bewältigen.« Sie lacht. »Auch unser ganzes Ballett ist ihn verliebt.«
Na, das kann ja heiter werden. Ich sehe eine Armada gertenschlanker Tänzerinnen vor mir, die mit ihren kleinen, festen Popos tagtäglich um seine Gunst buhlen. Egal, Konkurrenz belebt das Geschäft. Früher waren alle aus meiner Klasse in Karsten Hinrichs aus der 7 b verliebt, das machte ihn nur noch interessanter. Mit diesen blöden Tänzerinnen werde ich schon fertig, denke ich tapfer. Und außerdem, wenn er mit einer von ihnen zusammen wäre, hätte sie doch sicher gesagt: »Das ganze Ballett ist ihn verliebt. Und tatsächlich hat sich Martin in der letzten Spielzeit in die 45 Kilo schwere und 1,76 Meter große Monique verliebt. Sie hat vorher im Pariser Lido als gefeierte Solistin getanzt. Als sie das Engagement bei uns bekam, hat es zwischen ihr und Martin auf Anhieb gefunkt.« Und sicher hätte sie dann noch seufzend »Ein schönes Paar« hinzugefügt.
Aber nein, nix da, sie schweigt. Der ist mit keiner von denen zusammen. Wusste ich es doch.
»So, ich muss leider los«, sagt sie. »Gleich kommt jemand vom Kinderkanal, der ein Interview mit unserem Clown führen will. Das muss ich mal kurz organisieren.«
Herrlich, sie muss ein Interview mit einem Clown organisieren. Das klingt so selbstverständlich, als wenn unsereins »Ich geh noch mal einkaufen« sagt. Sicher ist dieser Clown bald einer von meinen engsten Freunden. Und plötzlich sehe ich mich schon in Martins kleiner Kochnische vor einem großen Bottich mit Erbsensuppe stehen und schreien: »Essen ist fertig.« Der Clown würde wenig später auf unserer Eckbank sitzen (Zirkuswagen haben doch sicher alle Eckbänke, auf denen man so schön eng zusammenrücken muss), unser Freund, der Hochseilartist, wäre auch da, und während ich so verliebt und glücklich in der Erbsensuppe rühre, würde Martin sich von hinten anschleichen, mich um die Taille fassen und die anderen fragen: »Hat sie das nicht gut gekocht, meine kleine Maus?«
Oh Gott, wenn die Pressesprecherin von meinen Fantasien wüsste – mir wird ganz anders.
»Bleiben Sie hier einfach sitzen«, sagt sie und geht zur Tür. Sie will mich also allen Ernstes alleine lassen. »Martin kommt gleich. Wenn also ein schöner Mann die Tür aufmacht, dann wissen Sie: Er ist es.«
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