Fraeulein Jensen und die Liebe
Sie zwinkert mir zu und überlässt mir das Feld. Himmel, ein schöner Mann. In was habe ich mich eigentlich hier reinmanövriert?
In meiner Not rufe ich schnell Pia an. Zum Glück geht sie sofort ran.
»Pia«, flüstere ich. »Ich sitz im Büro von der Sprecherin und gleich kommt Martin und ich gesteh ihm meine Liebe und mir ist so schlecht.«
»Ich versteh kein Wort. Kannst du bitte lauter sprechen? Wo bist du?«
»Pia, er kommt gleich«, flüstere ich.
»Ich versteh dich nicht«, sagt Pia, »was ist los?«
Pia kann einen wahnsinnig machen.
»Ich warte auf Martin Lacey«, schreie ich schließlich in den Hörer. »Ich gestehe ihm gleich meine Liebe.«
Natürlich musste es so kommen. Bei der zweiten Silbe von »Liebe« geht die Tür auf. Ein schöner Mann kommt rein.
Ich drücke fahrig Pia am Handy weg, habe eine Gesichtsfarbe, auf die holländische Treibhaustomaten neidisch werden könnten, und stottere: »Hello, Mister Lacey. Nice to meet you.«
»So, what do you want to know?«, fragt Martin Lacey und lächelt.
Jetzt kommt es. Bei Kevin Tarte war ich mir ja ziemlich sicher, dass er auch deutsch spricht, schließlich sang er auf jeden Fall auf Deutsch. Bei Martin Lacey allerdings habe ich keinen Schimmer, was das betrifft. Als ich ihn damals in der Manege sah, war ich auf meinem blöden Platz leider so weit von ihm entfernt, dass ich nicht hören konnte, in welcher Sprache er die Befehle gab. Also: Der nächste Satz entscheidet darüber, ob ich in der nächsten halben Stunde ich selbst sein kann, ob ich wortgewandt sein darf, ob ich vor lauter Charme und Witz nur so sprühe. Oder: ob ich gleich mein Langenscheidt-Wörterbuch aus meiner Handtasche herauskrame und »Dann fangen wir mal an« nachschlagen muss. Kurz: Der nächste Satz entscheidet über Glück und Unglück.
»My English is not the best. Would it be okay for you if we speak German?« Meine Stimme zittert.
»Kein Problem«, sagt Martin Lacey. »Mein Deutsch ist zwar nicht perfekt, aber es wird schon gehen.«
Ganze Felsbrocken fallen von meinem Herzen, und ich höre, wie das Langenscheidt-Lexikon aufatmet und es sich in den Untiefen meiner Tasche gemütlich macht. Das ist ja ein wahrer Traumstart. Und dann noch dieser Akzent. Wenn ein Engländer deutsch spricht, klingt das fast noch wundervoller als bei einem Amerikaner. Es klingt so nett, so aufmerksam, so gebildet, so charmant. Und es klingt, als hätte er ein kleines Landhaus in Cornwall, in dem er auf der Terrasse sitzend (von der man einen atemberaubenden Blick über die Klippen am Strand hat) Deutsch gelernt hat.
»Gut, dann legen wir mal los.«
Ich schlage wichtig meinen Block auf. »Immer dran denken«, hatte Pia mir eingeschärft. »Du bist dort, weil du angeblich einen Artikel über ihn und seine Löwen schreiben willst.« Kein Problem, ich beherrsche meine Rolle in Perfektion. Außerdem kann es ja nicht schaden, wenn ich ein wenig mitschreibe, was er so sagt. Es wird dann sozusagen ein Dokument der Liebe. Herrlich.
»Vielleicht können Sie mir zunächst ein wenig von Ihrer Arbeit erzählen?«, frage ich. Langsam rantasten ist die Devise. Nicht gleich mit »Haben Sie noch Platz in Ihrem Wohnwagen? Hihi. Für mich? Hihi« mit der Tür ins Haus fallen. Ich lege den Kopf ein wenig schief (das weckt ja bekanntlich den Beschützerinstinkt) und lausche den Abenteuern von Martin Lacey Junior. Vorhang auf.
Martin Lacey erzählt (mit Akzent! Hinreißend! Hinreißend!), dass seine ganze Familie schon seit zehn Generationen mit Löwen arbeitet. Der brüllende Löwe bei MGM-Filmen stammt auch aus der Züchtung der Familie. »Kennen Sie den?«
Ich nicke aufgeregt.
Es sei ihm schon immer klar gewesen, dass er auch mit Tieren arbeiten wollte, erzählt er. Obwohl es natürlich auch gefährlich ist. Er zeigt auf eine kleine Narbe an seiner Wange. Letztes Jahr sei er in der Vorstellung von einem Podest gestürzt und genau in das Maul eines Löwen gefallen. Ich bin mal von einem kleinen Hocker in meiner Küche gestürzt und kam mir wahnsinnig aufregend vor, als ich dem Arzt in der Notfallaufnahme sagen konnte: »Ich wollte doch nur das Fonduegerät aus der obersten Etage holen.« Aber in das Maul eines Löwen fallen? Kann es etwas Aufregenderes geben? Sicher muss die Narbe immer noch ab und zu gepflegt werden. Ich sehe Martin schon auf dem Rand der Badewanne sitzen und ich tupfe ihm mit einem in Alkohol getränkten Wattepad vorsichtig die Narbe ab. »Autsch«, wird er rufen und sein Gesicht
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