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Fraeulein Jensen und die Liebe

Fraeulein Jensen und die Liebe

Titel: Fraeulein Jensen und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Hansen
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würde ich sagen. Irgendetwas trägt er in der Hand. Ob es wohl ein Notfallkoffer mit Flüssigkeitsinfusionen ist?
    Nein, es ist eine Sporttasche, wie ich plötzlich erkenne, als die Person direkt vor mir steht. Und der dazugehörige Mensch, ich sehe nach oben: Tim Lobinger. Er strahlt mich an, wippt auf seinen Füßen hin und her (wo nimmt der bloß die Energie her?) und vor allem: Er sieht frisch aus. Als ob er gerade ein Bad in Eiswürfeln genommen hätte.
    »Hallo, ich bin von der U-Bahn hierhergelaufen«, sage ich und hoffe, dass diese Information alles erklärt: meinen Zustand, meinen Anblick, meine Stimmung.
    »Hi, schön dich zu sehen. Komm, wir gehen in die Halle. Da treffen wir meinen Trainer, dann können wir auch gleich loslegen.«
    Halle? Trainer? Loslegen? Oh Gott. Geistesgegenwärtig zeige ich auf meinen getapten Knöchel. »Ich kann leider nicht mitmachen, alte Verletzung, total blöd.«
    »Das ist ja schade. Sprunggelenk, Innenknöchel, Bänderriss?«
    Oh nein. Was habe ich eigentlich???
    »Ja, genau das«, sage ich selbstbewusst. Tim Lobinger runzelt die Stirn, sagt aber zum Glück nichts mehr.
    Ich folge ihm in die Halle. Himmel, hat der ein Schritttempo drauf. Wenn wir bald zusammen in der Innenstadt bummeln, muss ich ihm irgendwie schonend beibringen, dass er langsamer gehen muss. Aber das ist sicher machbar. Ich gehe außerdem ganz gerne hinter ihm. Diese Schultern. Breit. Zum Anlehnen. Ob ich mal kurz anfasse? Oh Gott. Ich schwitze. Ich bin im Fieberwahn.
    Endlich sind wir in der Halle. Ich denke, hier sind es nur 25 Grad. Angenehm kühl. Tim wirft lässig seine Sporttasche auf eine Matte. »Ich bin in fünf Minuten wieder da, muss noch kurz einen Schlüssel abgeben. Du kannst dich ja in der Zwischenzeit ausruhen.« Er lacht.
    Ausruhen? Wenn man hört, dass jemand mit der U-Bahn gekommen ist, sagt man für gewöhnlich nicht, dass er sich ausruhen soll. Oder sehe ich etwa auch so aus, wie ich mich fühle??
    Tim Lobinger winkt mir zu und verlässt leichtfüßig die Halle. Okay. Ich habe fünf Minuten. Fünf Minuten für einen Spiegelcheck. Ich sehe ein »Toiletten«-Schild und renne. Ja, ich renne. Und das in meinem Zustand. Ich bin also doch sportlich. Wusste ich es doch.
     

     
    Toiletten in Sporthallen zeichnen sich für gewöhnlich nicht durch weiches, harmonisches Licht aus. Das weiß ich. Was ich aber nicht wusste: dass ich so aussehen kann.
    Ich sehe aus, als hätte ich erst drei Stunden Schwitz-Yoga gemacht, mir danach noch eine halbe Stunde finnische Sauna gegönnt (und damit alle Rekorde gebrochen), um anschließend einen Marathon zu bestreiten, in der Wüste versteht sich. Kurz: Mein Gesicht ist rot. Tiefrot. Mein Gott, können im Gesicht Gefäße platzen? Sollte ich besser in ärztliche Behandlung? Darüber hinaus sehe ich nur zwei marginale Problemchen: Meine Mascara ist verlaufen und der Puder, den ich mir, naiv wie ich bin, im Zug noch aufgetragen habe, ist zu einer klumpigen Masse geworden, quer über das Gesicht verteilt.
    Gott bewahre.
    Wie lange dauert es wohl, bis mein Gesicht wieder eine normale Hautfarbe angenommen hat? Ob ich einfach in der Toilette bleibe und mich in ein paar Stunden hinausschleiche? Ich könnte Tim ja morgen eine SMS schreiben. »Ich wurde prompt aus der Turnhalle gekidnappt, als du gerade weg warst. Erst jetzt konnte ich mich befreien.«
    Ich muss handeln. Die fünf Minuten sind vorbei. Der frische Tim Lobinger wird schon längst wieder zurück sein. Ich halte mein Gesicht unter den Wasserhahn und setze darauf, dass der Schwitzgott ein Einsehen mit mir hat und mich schnell wieder in einen Menschen verwandelt.
    Kein Blick mehr in den Spiegel. In der Illusion, ich würde wieder den zarten Teint einer Elfe aus »Herr der Ringe« haben, gehe ich zurück in die Sporthalle.
    Der Trainer ist inzwischen auch da. Ein Mann aus Südafrika, der wie die Sprinter aussieht, die ich bei den Olympischen Spielen im Fernsehen gesehen habe.
    Ich zeige noch einmal auf meinen getapten Knöchel. Doppelt hält besser. »Alte Verletzung«, sage ich bedeutungsschwer und der Trainer sagt: »Oh.«
    »Wir haben beschlossen, dass wir draußen trainieren«, sagt Tim.
    Draußen? Ist er wahnsinnig? Er weiß aber schon, dass es jetzt 38 Grad draußen sind.
    »Super Idee«, sage ich betont lässig und gehe den beiden hinterher. Dabei hebe ich die Füße kaum vom Fußboden (spart Kraft!) und versuche, flach zu atmen (spart Energie!).
    Nach nur fünf Minuten sind wir da: in der Hölle.

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