Fraeulein Jensen und die Liebe
kann.
Vor zehn Minuten habe ich eine Antwortmail bekommen. Von Tim Lobinger höchstpersönlich. Die Zusammenfassung des Desasters:
Ja, er stehe für ein Interview bereit (so weit, so gut). Und ja, es sei kein Problem, das Interview mit einem Training zu verbinden. Er finde die Idee ausgesprochen witzig. Nächsten Donnerstag habe er einen ganz normalen Trainingstag. Im Münchener Olympiastadion. Da könne ich doch einfach mitmachen. Er freue sich.
Ich kann immer noch nicht glauben, was ich da gelesen habe. Am liebsten möchte ich sofort eine Antwortmail mit dem Betreff »Scherz, halt, stopp, nicht ernst gemeint, zurück, Hilfe« schicken. Doch ich reiße mich zusammen. Jetzt muss ich einen ruhigen Kopf bewahren und darf nicht die Nerven verlieren. Ich schließe die Augen und sage laut »ommm«, so wie wir es in der Yoga-Stunde gelernt haben. Nach einer Weile öffne ich sie wieder.
Und bin genauso panisch wie zuvor.
Ich bekomme eine Schnappatmung.
»Mach doch mal ein paar Kniebeugen«, sagt Pia.
Das ist also Pias Lösungsvorschlag. Mach doch mal ein paar Kniebeugen. Wenn ich das schon höre. Mach doch mal ein paar Kniebeugen.
»Als ob mir das helfen würde«, fahre ich sie an. »Meinst du, das Training eines Weltmeisters im Stabhochsprung besteht darin, ein paar Kniebeugen zu machen?« Meine Stimme überschlägt sich.
»Nein«, sagt Pia. »Aber es wäre doch schon mal ein Anfang, wenn du jedenfalls die könntest.«
»Genau, und der 5000-km-Lauf zum Warmmachen und der Sprung über sechs Meter kommen dann ganz von alleine, was?«
»Mach mich jetzt nicht verantwortlich für deine Schnapsidee, mit ihm trainieren zu wollen. Ich überleg mir doch nur, wie wir das Ganze retten können.«
Retten ist ein gutes Stichwort. Ich fühle mich wie ein Schiffbrüchiger im Atlantik, der im Schlauchboot unaufhaltsam auf die Küste von Somalia zutreibt und dort von Piraten empfangen wird.
»Lass uns mal ganz rational an die Sache rangehen. Wer oder was könnte dir jetzt helfen?« Pia versucht, ihrer Stimme einen Mut machenden Ton zu geben, was kläglich misslingt.
Wir schweigen.
»Weißt du was«, sagt sie nach einer gefühlten Ewigkeit und nickt mir aufmunternd zu. »Wir suchen dir jetzt Sportklamotten raus. Wenn man sportlich aussieht, ist das schon mal die halbe Miete. Dann hat man auch ein ganz anderes Körpergefühl.«
Kein schlechter Plan. Wenn ich Sportklamotten besitzen würde. In der hintersten Ecke meines Kleiderschranks finden wir eine ausgeleierte Adidas-Trainingshose und vier Baumwoll-T-Shirts, von denen zwei mit weißen Farbsprenkeln vom letzten Renovieren entstellt sind. Wenn ich mit diesem Outfit auf Tim Lobinger treffe ... nein, ausgeschlossen. Nicht dran denken.
Pia sieht noch ratloser als vorher aus. Wir starren gemeinsam in meinen Kleiderschrank.
»Maren«, ruft Pia plötzlich und strahlt, als habe sie eine Marienerscheinung.
»Maren???« Ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern, dass »Maren« die offizielle Abkürzung für ein »Ich-werde-innerhalb-einer-Woche-ein-sportlicher-Mensch«-Programm ist.
»Überleg doch mal. Maren Zoske, die hat sich doch nach dem Studium als Personal Trainerin selbständig gemacht. Ich denke, wenn dir einer helfen kann, dann ist es Maren.«
Maren Zoske. An die habe ich ja schon seit Jahren nicht mehr gedacht. Pia und ich hatten sie irgendwann an der Uni kennengelernt. Wie und wo genau, weiß ich schon gar nicht mehr. Aber an was ich mich nur allzu gut erinnere: Maren Zoske war sportlich.
Wenn man sie am Montag fragte, wie denn ihr Wochenende gewesen sei, antwortete sie für gewöhnlich: »Super entspannt. Ich war vor dem Frühstück zwanzig Kilometer laufen und abends bin ich noch in den Kraftraum gegangen.« Und als wir mit Maren einmal im See schwimmen waren, fragte sie mich, welches denn meine Lieblingslage sei.
Nach dem Studium machte sich Maren auf jeden Fall als Personal Trainerin selbständig. Das letzte Mal habe ich sie in der Zeitschrift Fit for Fun gesehen, wie sie auf geschlagenen drei Doppelseiten »Jogging 2.0 – die neue Dimension« erklärte.
Maren könnte mir tatsächlich noch ein paar Tipps geben, denke ich. Aber vielleicht fühlt sie sich ein wenig überrumpelt nach all den Jahren? »Hallo Maren, ich weiß, wir haben schon ewig nichts mehr voneinander gehört. Aber sag mal, würde es dir was ausmachen, aus mir innerhalb einer Woche eine Sportskanone zu machen? Ach ja, und dann wäre es prima, wenn ich mir ein paar
Weitere Kostenlose Bücher