Fraeulein Jensen und die Liebe
Huch, ich meine natürlich: auf dem Sportplatz.
Es ist inzwischen zwölf Uhr. Genau, zwölf Uhr mittags. Die Uhrzeit, bei der die Sonne für gewöhnlich am höchsten steht. Und am stärksten brennt. Ich muss sagen: Auch auf Münchener Sportplätzen scheint diese Gesetzmäßigkeit zu gelten.
Kurz: Es ist einfach nur heiß. Dazu ist es windstill (wie herrlich ist das bitte, dass in Hamburg immer ein Lüftchen weht?), und mein erster Instinkt ist es, mich in die Arme von Tim Lobinger fallen zu lassen. Wäre doch sehr romantisch, oder? Nun, unter den klimatischen Gegebenheiten sicher nicht. Wahrscheinlich könnte er mich gar nicht auffangen, weil er an meinen schwitzigen Oberarmen wie an einer Speckschwarte abrutschen würde. Ich muss also Haltung bewahren. Irgendwie. Außerdem wird das Training bei der Hitze ja nicht ewig dauern. Ich tippe auf maximal ’ne Stunde. Pah, halbe Stunde. Das schaffe ich.
Direkt neben der Tartanbahn sehe ich einen Baum. Na ja, eher ein kleines Bäumchen. Aber es ist groß genug, um einen ein mal ein Meter großen Schatten zu werfen. Na also, geht doch. Erhobenen Hauptes gehe ich wie selbstverständlich zum Baum. »Ich warte dann mal«, sage ich zu Tim. »Viel Spaß.« Für einen Moment überlege ich, »Ich hätte echt gerne mittrainiert« noch hinzuzufügen, aber man muss es ja nicht übertreiben. Nachher kommt er noch auf die Idee, dass er sich ja knöchelfreundliche Aufwärmübungen oder so ausdenken könnte. Nein, besser kein Risiko eingehen.
Erschöpft setze ich mich unter den Baum und beobachte die unerschrockenen Gestalten vor mir.
Tim und sein Trainer stehen in der Mitte des Platzes und besprechen ihr Training. Tim lacht hin und wieder und springt ungeduldig von einem Bein aufs andere. Unfassbar. Auf der äußeren Tartanbahn sprintet ein schwarzer Mann leichtfüßig wie eine Gazelle über ein paar Hürden. Immer wieder von vorn. Und dann dreht da noch ein abgemagerter Jüngling seine Runden. Der Jüngling kommt näher. Mein Gott, ist der muskulös, denke ich. Und plötzlich rennt er genau an mir vorbei. Das ist ja eine Frau! Bestehend aus Muskeln. Und Knochen. Und Muskeln. Wahnsinn, wie unterschiedlich sich Menschen entwickeln können. Diese Frau und ich hatten beide die gleichen Startbedingungen. Wir sind beide als leicht pummelige Babys auf die Welt gekommen, mit dicken Ärmchen und dicken Beinchen. Und nun, ein paar Jahrzehnte später, rennt sie mit einem gestählten Körper bei 38 Grad Runde für Runde, und ich sitze unter einem Baum und bin unfähig, mich zu bewegen. Schon interessant, wozu die Natur imstande ist.
Tim und sein Trainer scheinen mit ihrer Besprechung fertig zu sein. Sie schlendern beschwingt zu mir rüber.
»Wer sind die beiden Leute dort drüben eigentlich?«, frage ich und zeige auf den Hürdensprinter und die Muskel-Frau.
»Sie ist eine 400-Meter-Läuferin aus Australien und er kommt aus den USA. Ich glaube, er hat letztes Jahr bei Olympia Gold geholt oder so«, sagt Tims Trainer beiläufig.
Ach so, wenn’s nur das ist. Ich bestreite schließlich auch jede Woche einen Triathlon. In Gedanken.
»So, wir gehen uns dann mal eine Runde warm laufen«, sagt Tim. Warm laufen? Der Mensch hat eine andere Temperaturwahrnehmung, denke ich und wische mir unauffällig den Schweiß von der Stirn. Als die beiden loslaufen, dreht Tim sich noch einmal um und ruft: »Wir beeilen uns, Big Sister is watching us.«
Er lacht.
Ich lache.
Moment mal.
Big Sister? Wen meint er bloß? Die Einzige, die ihn gerade beobachtet, das bin ich. Himmel, der meint mich. Aber warum sagt er dann »sister«? Da ist er ja ganz auf dem falschen Dampfer. Darling, sweetheart, honey oder love würde passen. Aber sister???
Wie kann ich ihm nur klarmachen, dass ich alles für ihn sein will, aber mitnichten seine »sister«?
Irgendwie muss ich weiblicher rüberkommen. Aber wie?
Ich habs. Ich schlage meine Beine übereinander und lasse sie wie vornehme Damen in einem spitzen Winkel zur Seite fallen. Das ist zwar furchtbar unbequem (vor allem wenn man sich an einen Baum anlehnt), aber was sein muss, muss sein. Wenn Tim gleich wieder an mir vorbeiläuft und mich so sieht, wird er denken: »Die sieht ja wirklich ganz schön sexy aus. Eigentlich zu sexy, um nur eine platonische Freundschaft zu haben. Wer weiß, vielleicht wird aus uns zwei ja doch noch mehr.«
Tim und sein Trainer rennen. Runde für Runde. Immer wenn er an mir vorbeikommt, winkt er mir zu und lächelt. Von Schwitzen
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