Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fraeulein Jensen und die Liebe

Fraeulein Jensen und die Liebe

Titel: Fraeulein Jensen und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Hansen
Vom Netzwerk:
keine Spur. Er sieht immer noch wie das blühende Leben aus. Vielleicht schwitzt man mehr, wenn man nichts macht? Vielleicht sollte ich mich auch bewegen. Gewagte Theorie. Ich mache mir einen Zopf und stelle fest, dass selbst diese »Ich-führe-meine-Arme-einmalkurz-an-den-Kopf-und-verharre-dort-fünf-Sekunden«-Handlung zu viel für mich ist. Der Schweiß rinnt mir über das Gesicht. Die Suppe läuft. Bisher hielt ich diesen Ausspruch immer für übertrieben. Jetzt bekommt er eine ganz neue Dimension.
    Tim hat sich inzwischen anscheinend »warm gelaufen« und übt den Anlauf zur Latte. Er hat sich das T-Shirt ausgezogen und ich bekomme schlagartig Komplexe. Er ist noch durchtrainierter, als ich es mir in den kühnsten Träumen ausgemalt habe. Zum ersten Mal überkommen mich Zweifel. Ist eine Beziehung möglich, wenn man sich dem anderen niemals, niemals, niemals nackt zeigen würde? Kann man über Jahre den Schein wahren und den anderen im Glauben lassen, man hätte einen trainierten Körper? Kann man jahrelang das Badezimmer abschließen, wenn man duscht? Kann man sich abends erst ins Zimmer schleichen, nachdem die Lampen ausgemacht und die Vorhänge geschlossen wurden? Kann man Schwimmbad-und Saunabesuche immer umgehen? Ich denke gerade darüber nach, dass man auf jeden Fall zwei Badezimmer brauchen würde, da bricht Tim plötzlich den Anlauf ab und wirft fluchend den Stab auf den Boden.
    »Was war denn?«, rufe ich quer über den Platz und denke, dass ich mich als Sportler-Frau doch ziemlich gut machen würde. Ich bin interessiert, besorgt und fürsorglich. Ich sehe schon, wie ich bei einer Leichtathletik-WM irgendwann von der Kamera erfasst werde und der Kommentator sagt: »Ja, auch die Lebensgefährtin von Tim Lobinger drückt ihm jetzt noch einmal kräftig die Daumen. Sie ist eine große Stütze für ihn.«
    Trotz der Entfernung hat Tim meinen Schrei gehört. Er ruft zurück: »Auch das beste Pferd im Stall verweigert mal.« Er lacht.
    Auch das noch. Er ist selbstironisch. Genau das, was ich immer wollte. Komplexe hin oder her. Eine Beziehung mit ihm muss einfach möglich sein. Ich werde anfangen, tatsächlich ins Fitness-Studio zu gehen. Und bis ich den Körper von Maren habe, werde ich mich irgendwie verhüllen oder vorübergehend einen anderen Glauben annehmen, der mir vorschreibt, eine Burka zu tragen.
    Doch darum kümmere ich mich später. Momentan habe ich ein ganz anderes Problem. Ich befürchte, dass mein Gesicht immer noch die Farbe eines Stoppschilds hat. Wenn ich meine Wange berühre, fühlt es sich an, als würde ich ein fettiges Schnitzel anfassen, das ich gerade mit bloßen Händen vom 100 Grad heißen Holzkohlegrill genommen habe.
    Tim übt immer noch den Anlauf, er ist also beschäftigt. Ich würde sagen: Toiletten-Check, Klappe die zweite. Während Tim jetzt noch schneller rennt (er ist ein Übermensch!) schlurfe ich zu den Toiletten. So schlimm wird’s schon nicht sein.
     

     
    Es ist noch schlimmer. An meiner Gesichtsfarbe hat sich nichts geändert. Doch, eine Kleinigkeit ist sogar noch hinzugekommen. Meine Sonnenbrille hat links und rechts neben der Nase zwei tiefrote Abdrücke hinterlassen. Es würde mich nicht wundern, wenn der Kunststoff von der Sonne so erhitzt wurde, dass er sich ins Fleisch regelrecht eingebrannt hat. In mein Fleisch. In meine Nase. Ich habe ja immer noch den tiefen Glauben, dass meine Gesichtsfarbe sich irgendwann besinnt und wieder in den Normalbereich wechselt. Aber diese Abdrücke sehen nicht so aus, als hätten sie vor, mich in den nächsten Stunden wieder zu verlassen.
    Ich halte meine Handgelenke unter den Wasserhahn, danach mein Gesicht. Das bringt zwar schon etwas, aber von einem durchschlagenden Kühlungserfolg kann nicht die Rede sein.
    Was sehen die Fliesen bloß verlockend aus. Verlockend kühl. Die gesamte Toilette ist mit weißen (ziemlich dreckigen) Fliesen gekachelt. Am Boden und an den Wänden. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich jemals so glücklich war beim Anblick von weißen, verschmutzten Fliesen. Ein verwegener Gedanke überkommt mich. Nun, wahrscheinlich ist dies meine letzte Chance auszukühlen. Ich muss es einfach tun.
    Ich lege mich auf den Boden. Es wird schon keiner reinkommen. Die einzige Frau weit und breit rennt wahrscheinlich noch bis heute Abend, und Tim und sein Trainer werden wohl kaum auf die Idee kommen, auf die Damentoilette zu gehen. Ich atme tief aus. Das tut so gut. Ich spreize die Beine und strecke die Arme

Weitere Kostenlose Bücher