Fraeulein Jensen und die Liebe
schräg nach oben. Ich sehe zwar aus wie ein Hampelmann, aber ich glaube, dass man in dieser Stellung am besten ausdünsten kann.
Bling, eine SMS ist eingegangen. Ich taste nach meinem Handy (liegt direkt neben der Kloschüssel, bekommt später ein Bad in Sagrotan!).
Von Pia.
»Und? Wie ist er?«
Ich tippe zurück: »tim ist eine wucht.ich schwitze.liege im klo.bin verliebt.«
Nach etwa zehn Minuten (nicht, dass Tim sich noch Sorgen macht) gehe ich tatsächlich etwas erfrischter zurück zum Sportplatz. Tim trainiert immer noch. Insgeheim hatte ich ja gehofft, dass er erschöpft unter meinem Baum liegen würde. »Ach Hannah, ich habe die ganze Zeit nur so getan, als würde mir die Hitze nichts ausmachen. Ich wollte dir imponieren, dich beeindrucken. Aber jetzt kann ich einfach nicht mehr. Magst du mich auch so noch?«
Ich glaube, dass Tim Lobinger diese Sätze in seinem ganzen Leben nie sagen wird. Er rennt jetzt wieder schneller, übt verschiedene Schrittkombinationen. Da sieht er mich und ruft: »Der Trainer denkt schon an eine Apfelschorle.« Er lacht.
Ich lache gequält und rufe lässig »Na so was« zurück.
»Noch eine halbe Stunde, dann geht’s in die Mittagspause.«
Ich versuche, kein erleichtertes Gesicht zu machen, sondern nehme diesen alles erlösenden Satz mit einer hoffentlich stoisch wirkenden Ruhe hin.
Tim rennt weiter.
Noch eine halbe Stunde. Dass dieser Satz heute noch einmal fällt. Tim trainiert jetzt schon über zweieinhalb Stunden. Bei 38 Grad. Wie lange trainiert er dann erst bei 25 Grad? Oder bei 15 Grad? Würde man sich in einer Beziehung überhaupt sehen, oder müsste ich mich immer unter den Baum setzen, um mit ihm Zeit zu verbringen?
Na ja, zumindest für heute ist es ja bald vorbei. Die Rettung naht in Form einer Mittagspause. Dann haben wir auch endlich Zeit, uns zu unterhalten.
Oh Gott. Unterhalten. Ich wollte mir doch Fragen überlegen, während er trainiert. Stattdessen lag ich in einer Toilette und dünstete aus. Was frage ich bloß? Ich beobachte Tim und den Stab und die Latte. Wahrscheinlich ist ein Interview mit einem Stabhochspringer das Schwierigste, was man sich vorstellen kann. Wie schafft man es bloß, nicht unter die Gürtellinie abzurutschen?
»Ist deine Latte immer so hoch?«
»Muss dein Stab so hart sein?«
»Ist das Einlochen eigentlich schwierig?«
Unsere zarte, romantische Liebe soll mit diesen Fragen beginnen?
Grundgütiger.
Ich bekomme wieder Hitzewallungen.
Plötzlich sehe ich, dass Tim seine Sachen einpackt. Aha. Fertig. Mittagspause. Apfelschorle. Alles wird gut.
Er kommt zu mir. »Hunger? Durst?«, fragt er und lacht.
»Ja.« Mehr bekomme ich nicht raus. Ich fühle mich wie ein Obdachloser in der Wüste, der von einem Cola-Automaten in der Nähe gehört hat.
Tim sieht zu allem Übel immer noch frisch aus. Er ist weder rot noch aufgequollen noch aus der Puste. Das darf nicht wahr sein. Wahrscheinlich hat er immer gleich mit dem Training aufgehört, wenn ich nicht hingesehen habe. Und bestimmt hat ihm sein Trainer zwischendurch heimlich Puder aufgetragen. So einen weiß machenden Puder, den Japanerinnen benutzen, um heller zu werden. Der deckt Rötungen ja bekanntlich schnell ab. Ja, so muss es gewesen sein.
Neben dem Sportplatz gibt es ein kleines Bistro. Wir setzen uns an einen Tisch in der Mitte. Mit Sonnenschirm und weißen Plastikstühlen. Hier lässt es sich aushalten. In der Toilette ist es zwar kühler, aber ich kann ja schlecht sagen: »Komm, Tim, wir legen uns in die Damen-Toilette und quatschen ein wenig.«
Tim bestellt »Fleischpflanzerl« (so nennt man in München wohl deftige Frikadellen), ich einen kleinen, gemischten Salat und wir beide noch eine Apfelsaftschorle, halber Liter. Oder sollte ich auch die Fleischpflanzerl nehmen? Männer mögen ja bekanntlich keine Frauen, die nur an einem Salat knabbern, der Linie wegen. Aber ich esse ja den Salat nicht wegen der Kalorien, sondern weil es das einzige kalte Gericht auf der Speisekarte ist. Ob ich ihm das erklären soll? Ich höre regelrecht, wie Tim später zu unseren Kindern sagt: »Der erste Satz von eurer Mutter war, dass sie für ihr Leben gern fette Frikadellen isst. Darüber sind wir uns dann nähergekommen.«
Nein. Auf keinen Fall.
Zum Glück kommt in dem Moment der halbe Liter Apfelschorle. Und anstatt mich um Kopf und Kragen zu reden, trinke ich. Auf ex. Ich wusste nicht, dass ich dazu überhaupt in der Lage bin. Als ich in Köln war, habe ich auf der Domplatte einen
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