Fraeulein Jensen und die Liebe
ist meine alte Wolldecke, die schon total nupsig ist und nur noch wenige Fransen hat (Elvis kaut liebend gern darauf herum, und da ich ihn antiautoritär erziehe, darf er das mehr oder weniger).
Ach komm, Hannah, sage ich mir. So eine alte Wolldecke ist doch genauso schön wie ein realer Traummann. Traummänner werden für gewöhnlich überbewertet. Wer braucht schon einen Mann, wenn er auch eine Wolldecke haben kann? Ich zwinge mich zu einem tapferen Lächeln, das innerhalb von Sekunden in ein jämmerliches Schluchzen mündet. (Man kennt ja so etwas bei Kleinkindern. Im ersten Moment lachen sie noch fröhlich, und dann verzerrt sich das Gesicht allmählich so, bis sie hysterisch schreien.)
Vor drei Wochen habe ich Patrick Winczewski getroffen. In den ersten Tagen danach war ich ziemlich gut gelaunt. Gut, dieser Herr Winczewski hatte zwar nicht den Anschein erweckt, dass er sich Hals über Kopf in mich verliebt hätte, aber immerhin hatte er mir bescheinigt, eine zauberhafte Stimme zu haben (so in etwa war ja der Wortlaut). Ich fand: Die Welt hatte ein Recht darauf, in den Genuss dieser Stimme zu kommen. Ich setzte also alles daran, dass diese Stimme möglichst oft zum Einsatz kam. Ich wünschte mir bei Radio Hamburg »on air« (!) ein Lied (vielleicht werden meine Stimme und ich ja doch noch entdeckt!), rief all meine Schulfreundinnen an, mit denen ich schon ewig keinen Kontakt mehr hatte, und sprach mir drei Mal selbst auf den Anrufbeantworter. Als ich die Nachricht abends abhörte, fragte ich mich im ersten Moment, warum mich ein Kind anruft (bis ich merkte, dass ich es war). Aber mein Gott, das ist eben der typische Anrufbeantworter-Effekt, redete ich mir ein. Da klingt bekanntlich jeder anders.
Ja, in den ersten Tagen nach dem Treffen mit Patrick Winczewski war ich ziemlich guter Dinge. Ich malte mir aus, mit meiner Stimme Geld verdienen zu können. Ich wollte selbst Synchronsprecherin werden, ich wollte doch noch beim Radio einsteigen und für einen kurzen Augenblick sah ich mich schon erotisch bei einer Telefonsex-Hotline in den Hörer hauchen. Kurz: Ich war ziemlich glücklich und wollte die Welt mit der Stimme einer reifen, weisen, weltgewandten Dreißigjährigen erobern.
Inzwischen bin ich wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen. Pia hat mir mehr oder weniger schonend beigebracht, dass Patrick Winczewski einfach nur sehr höflich war und ich in Wirklichkeit immer noch klinge wie Hannah Jensen und nicht Susanne Daubner. Und dann wurde mir plötzlich schlagartig klar, dass der nächste Mann die Nummer neun ist. Neun von zehn. Nur noch zwei Chancen auf das große Glück. Ich kuschle mich in meine Wolldecke und spüre, wie mir zwei Tränen wie in Zeitlupe über das Gesicht laufen. Ich brauche einen Mann. Einen Traummann. Und zwar schnell.
»Du brauchst jetzt erst einmal eine Ablenkung«, sagt Pia. Sie ist nach Feierabend sofort zu mir gekommen, nachdem ich ihr um fünf Uhr eine SMS mit den Worten »Liege noch immer im Bett, werde fett, weiß nicht weiter, bin nicht heiter und denke nur an Patrick« geschrieben hatte. Als ich ihr mit verweinten Augen und Schlafanzug und fettigen Haaren die Tür aufmache, schiebt sie mich sofort ins Schlafzimmer. »Anziehen und dann essen. Ich hab dir was mitgebracht.«
Als ich in die Küche komme, stehen vier Platten mit Sushi auf dem Tisch. Wäre heute ein normaler Tag, würde ich ihr in Anbetracht der vier Platten Sushi um den Hals fallen. Denn ich liebe Sushi!
Sushi macht a) nicht dick und ist b) furchtbar mondän. In Hamburg gibt es ein Restaurant, in dem man die Sushi nicht serviert bekommt, sondern selbst von einem Laufband herunternimmt. Alle sitzen quasi um die Theke herum, starren die vorbeifahrenden Teller an und besprechen nebenbei furchtbar wichtige Dinge. (An so einem Laufband kann man nur wichtige Dinge besprechen!) Ich stelle mir immer vor, wie meine siamesische Zwillingsschwester in New York auch immer an so einem Laufband sitzt. Herrlich, da kommt man sich gleich viel wichtiger vor.
Zurück zu Pias Sushi-Platten. Aber heute? Ich befürchte, ich bekomme keinen Bissen herunter. »Ach komm schon, das ist super lecker.« Pia rennt zu meinem Besteckkasten und kramt eilig Stäbchen heraus. Dann schiebt sie sich sofort die erste Rolle in den Mund. »Wow, das ist aber wirklich gut.« Sie verdreht die Augen und nimmt sich die nächste Rolle.
»Na schön. Eins kann ich mal probieren. Ich will von Patrick Winczewski ja auch nicht in die Magersucht
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