Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Fraeulein Stark

Titel: Fraeulein Stark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Huerlimann
Vom Netzwerk:
lachend, der kommt schon wieder. Es ist eine Ochsenzunge in Rotweinsauce. Schmeckt sie dir?
    Dazu gab es Kartoffelstock und Bohnen, ein Festessen, beinahe ein Taufessen, denn ich hatte ihr versprochen, ein neuer, ein besserer Mensch werden zu wollen, und aß und würgte und schluckte. Kurz vor eins, als ich schon an der Tür stand, um rechtzeitig in die Pantoffeln zu kommen, ließ ich mir eine Praline, aus der sie zuvor den Likör geschlürft hatte, wie eine Hostie auf die Zunge legen, und das
    Fräulein sprach leise: Du wirst es schaffen.
    Ja, Fräulein Stark.
    Die Madonna hilft dir.
    Danke, Fräulein Stark.
    Der Onkel, gewandet wie ein Tropenmissionar, weiße Soutane, weißer Hut, stürmte wenig später aus dem Saal, im Gefolge Vize Storchenbein und sämtliche Hilfsbibliothekare, alle verschwitzt, gräulich verstaubt, außer Atem, offenbar waren sie stundenlang durch die hinteren und oberen Säle gekrochen, durch abgelegene Lager, Magazine, Geheimkammern und weitläufige, brandgefährdete Speicher. Mißmutig warf der Onkel die Filze von den Schuhen. Würmerfraß, faßte er das Inspektionsergebnis zusammen, Mikroben, Mäusezähne, Säuretod!
    Auch die Hilfsbibliothekare schüttelten die Pantoffeln ab.
Vize Storchenbein, ich erwarte Sie zu einer Sitzung!
Der Stiftsbibliothekar entschwand ins Tabularium, und Vize
    Storchenbein, der eine Pagenfrisur hatte, mit Abstand der jüngste, der dünnste, der längste, der lustigste war und die Bücherarche praktisch im Alleingang auf Kurs hielt, hüpfte ihm auf seinen Stelzen hinterher. Sitzungen mit Vize Storchenbein waren nichts Außergewöhnliches, von Zeit zu Zeit hatte der Onkel die anfallartige Anwandlung, alles anders machen zu müssen, neue Räume wollte er erschließen, die Ausstellung verändern, die Mumie entfernen, den Säuretod besiegen, die Mäuse verjagen, das Katalogsystem perfektionieren, bref: Er nahm sich vor, die Arche hart an den Wind zu legen und einer großartigen Zukunft entgegenzusteuern. Diese Anfälle mußte Vize Storchenbein protokollieren, und natürlich wurde jedes Protokoll in eine Akte geheftet und könnte noch heute, Jahrzehnte nach seiner Abfassung, in der kilometerlangen Schrankwand einer unteren Etage aufgespürt werden. Die Anfälle produzierten Papier, sonst nichts. Die Mumie blieb. Die Mäuse zeugten sich fort. Die Würmer fraßen weiter.
    Für gewöhnlich schlich sich Vize Storchenbein nach einer solchen Sitzung mit hängenden Armen in die Schreibstube, um den Hilfsbibliothekaren einen ersten Protokollentwurf in die Stenoblöcke zu diktieren. Katz, hieß es dann, hat wieder einmal zugeschlagen, und man kann sich vorstellen, wie freudig Vize Storchenbein und die zum Tippen verurteilten Hilfsbibliothekare ihre Arbeit erledigt haben.
    Heute jedoch, und das war wirklich erstaunlich, verließ der Vize gemeinsam mit dem Onkel die Bibliothek. Offensichtlich gab es etwas zu besprechen, das der Stiftsbibliothekar unter keinen Umständen protokolliert haben wollte. Ich erschrak. Betraf es mich; Betraf es die Hilfsbibliothekare? Würde der Praefectus llbrorum von Vize Storchenbein verlangen, das Scriptorium härter zu überwachen und mit allen Mitteln dafür zu sorgen, daß die Privatissima im Giftschrank blieben? Fragte sich nur, warum er dieses Zeug gesammelt, erst noch beziffert und katalogisiert hatte. War er so sehr Bibliothekar, dieser Jacobus Katz, so sehr Hüter und Bewahrer, daß er nicht einmal das, was er vergessen wollte, wegschmeißen konnte ?
    Ich sah ihnen mißtrauisch nach, dem runden Onkel und dem langen, dürren, in seinen Röhrenhosen davonstaksenden Storchenbein. Der Türhüter, der sich eine krumme Verbeugung abgerungen hatte, ließ seinen Chef und den Vize passieren. Dann schob er den Riegel vor, und wenig später hörten wir, wie das Hofportal mit einem fernen, die Treppe hochrollenden Donner zugefallen war.

28
    Auch am Abend aß ich bei der Stark in der Küche, der Onkel kam erst in der Nacht aus dem »Porter«, mußte am Kragen gepackt und ms Bett gebracht werden, anderntags war er bleich und starrte mich mit blutwäßrigen Katzenaugen an. Hatte ihm das Fräulein gesteckt, daß ich ein guter Mensch werden wollte? Aber warum sollte er mir diesen Vorsatz verargen; Er hatte sich doch selbst von einem Katz in einen priesterlichen Geisteskopf verwandelt, in einen ehrwürdigen Prälaten, in einen hochangesehenen, von der ganzen Bücherwelt besuchten Stiftsbibliothekar. Nein, darum ging es nicht, das nahm mir der Onkel nicht

Weitere Kostenlose Bücher