Fraeulein Stark
bugsiert. Auf den letzten Metern zöge ihm das Fräulein die rotgefütterte Soutane über den Kopf, und läge der ehrwürdige Monsignore rücklings in den vornehmsten Kissen aus der Katz-Zellwegerschen Seidenfabrik, würde sie ihm die Lackschühlein pflopf-pflopf von den Füßen lösen.
Sie hatte das Licht gelöscht, ich stand allein im nachtigen Flur. Allein -und von allen verlassen. Die Eltern hatten mich in die Bibliothek abgeschoben, und in weniger als einem Monat überstellte mich die Bibliothek in die ferne, in einem voralpinen Kessel gelegene Klosterschule. Durch die hohen Fenster kam ein fahler Schein, und der Flur wurde ein schwarzer Kanal, auf dem mond-helle Fensterschatten lagen, nachts war alles noch größer, auch das Heimweh. Beinah hätte ich geheult. Geheult oder gelacht. Paare, überall Paare. Hadubrand hatte einen Besen, das Fräulein ihren Monsignore, Mama Papa, und sollte es diesmal klappen, würde meine Schwester bald ein Brüderchen haben. O ihr glücklichen Paare, flüsterte ich den Pantoffelpaaren zu, wenigstens habe ich euch, sonst wäre ich auf diesem Planeten ganz allein.
Komm jetzt!
Hatte ich geschlafen? Ich hockte mit dem Rücken an der Wand, hatte die Beine angezogen und hielt sie mit den Armen umschlungen. Trotzig blieb ich hocken, das Kinn auf die Knie gestützt, und wäre das Fräulein in diesem Augenblick entschwebt, hätte ich meine Wehmut in
den Schlaf getragen und vermutlich für immer vergessen. Aber sie legte sich in ein offenes Fenster, rauchte eine Zigarette in die Nacht hinaus und lud mich offensichtlich ein, meine Augen auf ihren Wolkenhintern zu legen. Vorher, im »Porter«, hatte ich mich groß gefühlt, jetzt war ich klein, ein Kind in den Pantoffeln, der arme Zwerg Nase aus der Märchensammlung »Die Karawane« von Wilhelm Hauff (unter dem Stichwort Nase gefunden, mit Erschütterung gelesen).
Hat er dummes Zeug geredet?
Nein, sagte ich. Hat er nicht.
Du hast geweint. .
Ich schüttelte den Kopf.
Dann wars der Tasso Birri. Oder dieser schreckliche Altherr, der Hassan. Die reden alle dummes Zeug.
Mit feiner Nase atmete ich das Fräulein in mich ein, Kernseife und Zigarettenrauch sowie, von den Pantoffeln her, einen scharfen Wachsgeruch -da der Boden erst kürzlich gewienert worden war, klebte das Bohnerwachs an allen Sohlen. Auf einmal hörte ich aus der tiefen Nachtstille eine Stimme sprechen. Es war meine Stimme. Ich
kann nichts dafür, sagte die Stimme.
Ja, sagte das Fräulein, es liegt halt im Blut.
Ich hätte gern gefragt, was sie meine, aber die Tränen, die über meine Wangen hinabbrannten, sagten sowieso, was ich vor dem Fräulein nicht auszusprechen wagte. Sie spickte ihren Zigarettenstummel wie eine Sternschnuppe in die Nacht hinaus, dann setzte sie sich an meine Seite, und ich schämte mich nicht, wie ein Kind zu heulen, laut und in heftigen Stößen. Das Fräulein schwieg, aber ich fühlte, daß sie mich verstand. Es lag im Blut. Ich konnte nichts dafür. Aber ich will dagegen kämpfen, sagte ich schniefend, Fräulein Stark, ich möchte sein wie alle.
Dann kämpf, sagte sie freundlich. Bete zur Muttergottes, und bitte sie, dir zu helfen.
Betrunken warf ich mich vor dem Bett auf die Knie. Jawohl, ich würde kämpfen. Ich wollte einer von ihnen werden, einer wie alle eine Normalseele, die nur dann eine Schweinsbratwurst bestellt, wenn sie Schweinsbratwürste wirklich mag. Wie die Altherren. Sie ließen sich dazu herab, die vom Onkel spendierten Biere zu trinken, und nahmen ihr Abendessen in Gaststätten ein, die ihre Gäste mit weißen Tischtüchern auf Straßenhöhe empfingen. Diese Herren imponierten mir, und ich konnte nur hoffen, daß ich es schaffen würde, das Katzenhafte aus mir hinauszubeten.
27
Am andern Morgen -es war ein Montag - war es wunderbar still. Es klickte nicht mehr, sie hatte aufgehört zu stricken, saß am Küchentisch und sah mir lächelnd zu, wie ich in kleinen Schlucken meine Milch trank. Sie wußte jetzt, daß ich noch nicht verloren war, ich würde mein Katzenwesen abtöten, nie mehr schnuppern, nie mehr blicken, und sollte mich der letzte Tag nicht als Sieger finden, konnten wir mit Augustinus sagen, würde ich immerhin gekämpft haben. Magst noch ein Butterbrötchen?
Monsignore, erfuhr ich beim Mittagessen, war auf Inspektion.
Ausgerechnet heute; Mir gefiel das nicht, schließlich war ich seit gestern nacht entschlossen, mich von ihm abzusetzen. Das Fräulein las meine Gedanken. Nun sei nicht traurig, sagte sie
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