Fraeulein Stark
übel, ihn störte etwas anderes. Ihn störte, daß ich aus den Schublädchen das Geschlecht der Katzen hervorgeholt hatte. Ja, darum gings. Die Katzen sollten im Dunkel bleiben, verdeckt und verborgen wie alles Geschlechtliche, deshalb rang man sich schließlich zum Geistesmenschen empor -um das Schummrige in sich selbst zu überwinden. Weg damit, fort mit Schaden. Aber das war leichter gesagt als getan, denn inzwischen machten sich die Herren Hilfsbibliothekare einen Spaß daraus, mir ihr intimes Katzenwissen aufzudrängen. Sie überraschten mich mit Raritäten, die ich gar nicht bestellt hatte, schnürten Akten auf, fanden zufällig eine Photographie oder stießen bei Gelegenheit auf ein Briefchen. Unter unseresgleichen sei dies üblich, erklärte mir Vize Storchenbein mit tiefernster Miene, ein Forscher helfe dem andern.
Zwietracht? Vielleicht sage ich besser: Unser Verhältnis kühlte sich ab, denn gar so wichtig war ich nicht für ihn, wichtig und wirklich, sagte der Onkel immer wieder, sei nur das Wort, alles andere war Nunu-Zeug, ohne Bedeutung, blasse Scheinwelt für schlichte Varianten.
Meinte er mich?
Er meinte vor allem das Fräulein, und gerecht fand ich das nicht, überhaupt nicht, ohne sie wäre er verloren gewesen, sie bügelte seine Soutanen, kochte ihm das Essen, staubte die Bücher ab, wienerte den Saalboden, rieb die Säulen glänzig, putzte die Klosetts, und kam ihr Monsignore mitten in der Nacht dahergetorkelt, zog sie ihm das seidene Nachthemd an wie Diener Lampe seinem Vernunftphilosophen den Strumpfgürtel. Erhielt sie je einen Dank dafür? Nein, warum auch, das war Nunu-Zeug, ohne Bedeutung, Schattenleben in der Scheinwelt, wenn er morgens aus dem Bett kroch, hatte er sowieso vergessen, wie er nachts hineingekommen war.
Man sieht: Ich fühlte mich vom Onkel geschnitten, und schon sah ich das Fräulein mit anderen Augen. Sie hatte es verdient, weiß Gott! Ohne sie wäre die Arche längst auf ein Riff gelaufen, das Scriptorium im Trunk verkommen, der Onkel in der Gosse gelandet. Sie, und nicht etwa Vize Storchenbein, hielt die Aufseher bei der Stange, sie ließ es Morgen werden, sie kochte den Kaffee für uns, und abends, wenn die Verschleierte ihre Figuren tanzte, beendete sie unseren Tag. Das Fräulein war die einzige Frau an Bord, und an den Sonntagen, wenn sie ihr Alpendecor, Kordhose und kariertes Hemd, gegen Rock und Bluse vertauschte, gefiel sie mir besser als die meisten unserer Besucherinnen.
Wir hatten eine schwierige Zeit hinter uns, das wußten wir beide. Ich hatte sündig geblickt, und sie hatte mich verpfiffen. Dann war das Linzer Fleischgewitter über mich hereingebrochen, und sie hatte mich mit Nadeln traktiert. Aber nun blieb der Koffer geschlossen, das eklige Geklicke war Vergangenheit, und da ich ihr unter Tränen versprochen hatte, ein guter Mensch werden zu wollen, hatte mich das Fräulein wieder lieb.
Eine Zeitlang ging alles nach Plan, meine Menschwerdung machte Fortschritte, pünktlich wie Kant lag ich in den Pantoffeln, jeder Schuh wurde pflichtgemäß bedient, nie schlummerte ich weg, stets blieb ich höflich, und näherte sich, um mich zu kontrollieren, das Fräulein, machte ich ihr einen wunderbar verkrümmten, rein auf den Schuh fixierten Eindruck.
Statt wie früher mit dem Onkel auf die Orgelempore zu klettern, stellte ich mich nach der Morgenmesse vor die Madonnengrotte, am Samstagnachmittag meldete ich mich ab -gehst wieder beichten, guter Bub? -, und gemeinsam mit der Stark, die ihr Jägerhütchen trug, empfing ich am Sonntag mit weit aufgerissenem Rachen die heilige Kommunion. Ich gab mir Mühe, ich war fromm, ich war brav und also auf dem besten Weg, mein Versprechen zu erfüllen. Was blieb mir anderes übrig; Aus dem Herbst kam mir die künftige Variante meiner selbst, dieser biederbrave Kuttenträger mit den schwarzen Kniestrümpfen, immer entschiedener entgegen, und natürlich gab es nur eine einzige Möglichkeit, von ihm nicht abgemurkst zu werden: Ich mußte ihm zuvorkommen. Ich mußte das, was er aus mir machen wollte, schon vorher sein: einer von uns. Einer wie alle. Das Fräulein sah es mit Wohlgefallen. Das Fräulein spürte: Jetzt hat er sich einen Ruck gegeben, jetzt kämpft er seinen Kampf, jetzt wird er ein anderer, nämlich ein Mensch. Ich fühls, flüsterte sie eines Morgens vor der Madonnengrotte, du schaffst es.
Ich schüttelte kaum merklich den Kopf. Mein Fräulein, sehen Sie nicht, daß ich bete?
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Bref: Ich verstand es immer
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