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Fraeulein Stark

Titel: Fraeulein Stark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Huerlimann
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Rechte, die zu Porters Podex gefunden hatte, begann diesen knetend zu liebkosen. Seelenruhig ließ es sich Porter
    gefallen. Sie hat heute frei, sagte er nur.
    Frei? Wer hat heute frei?
    Der Wirt steckte die Schwurfinger in drei leere Gläser und schlurfte damit zum Tresen. Ein Y, das sich quer über den Rücken spannte, hielt seine faßartigen Hosen fest. Minutenlang blieb es still. Die Corona dämmerte vor sich hin. Der Onkel schwieg.

26
    Auch meine Stimmung war gekippt, von einem Pfiff zum andern, halb schlief ich nun, halb war ich wach, und aus dem allmählichen Erlöschen des Gastbetriebs - hinten war bereits aufgestuhlt - träumte sich ein zarter Schatten in meine Seele hinein, der seltsame Wunsch, nicht dem Onkel, sondern diesen wackeren Altherren zu gleichen, einer von ihnen zu sein, ein Lautlacher, ein Vieltrinker, normal bis in die Knochen. Natürlich hatte ich einen Geschlechtsnamen, den man aussprechen durfte, den Namen des Vaters, aber ich war eben doch der Nepos eines Katz, der Sohn einer Kätzin, das paßte mir immer weniger. Das Fräulein hatte recht gehabt, von Anfang an. Bei einem Katz mußte man »besonders aufpassen«. So einer hatte eine Nase, und die Nase wollte wittern, und er hatte Augen, und die Augen mußten schauen. Hinten, wo Porter aufgestuhlt hatte, lag nur noch Vize Storchenbein mit dem Kopf auf dem Tisch. Von den Stuhlbeinen eingegittert, war er eingeschlafen, die Wange in einer Bierlache, und träumte wohl davon, doch noch zu uns gerufen zu werden, an den Stamm. Entweder war man einer von ihnen, oder man war Luft für sie. Deshalb schickten mich die Eltern in die Kloster’ schule -mein Katzenwesen sollte unter der Kutte erstickt werden, weg damit, fort mit Schaden, sei einer von uns, einer wie alle, zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl, normal bis in die Knochen.
    Als es elf schlug, brachte Porter die letzte Lage, klirrend fuhren die Humpen zusammen, Altherr Hassan stimmte einen Cantus an, und mit dem Refrain fielen auch jene, die ich für tot gehalten hatte, fröhlich schielend ein: Gaudeamus igitur, iuvenes dum suumus. Es war eine schwülheiße Sommernacht, und durch ein Fenster, das Porter zum Lüften aufgerissen hatte, sah ich hoch oben einen blinkenden Stern.
    Mein Onkel, der Prälat mit den päpstlichen Ringen, Träger von Titeln und Schnallenschuhen, hebte nicht nur den pompösen Auftritt, er liebte auch den pompösen Abgang, vor allem in Trunk-und Frohlaune, weshalb wir -er voran, Altherr Hassan und ich hinterher -, ein Marienlied schmetternd, über die Porterstiege hinabpolterten. Der volltrunkene Hadubrand folgte ebenfalls, war jedoch nicht mehr in der Lage, auf einen absolut endgültig Allerletzten, wie der Onkel vorschlug, in die Bibliothek zu kommen. Zwischen den steilen Hauswänden zog er in einer rasanten Schlangenlinie durch die Klostergasse davon, irgend etwas von einem Besen rufend, einem Pfundsbesen, den er noch aufscheuchen werde. Besen wurden in der Sprache der Verbindungsstudenten die Frauen genannt, und da ich seit gut einer Stunde an nichts anderes als an all die Glocken dachte, die mich kolonnenweise in Versuchung führten, wäre ich lieber mit Hadubrand gegangen, folgte aber brav dem singend vorausmarschierenden Onkel und Altherrn Hassan. Maria zu liehieben, krähten sie, ist ahallzeit mein Sinn.
    Weit kamen wir nicht. Nachdem der Onkel den Schlüssel ins Loch gestochert und die äußere Tür geöffnet hatte, erhob sich vom Stuhl, wo tagsüber der greise Hüter döste, die Stark. Sie knipste den Hauptschalter an, und der Barocksaal strahlte im feucht glänzenden, wie durch Tränen geschauten Festlicht aller Lüster und Lampen großartig auf. Altherr Hassan wußte offenbar, was dies zu bedeuten hatte, die Tür krachte zu, seine Schritte verhallten. Der Onkel riskierte ein Lächeln. Nunu, machte er, immer noch auf, meine Liebe?
    Da sie an diesem Abend gebadet hatte, war ihr Zorn in eine Seifenwolke gehüllt. Der Onkel nahm mit der Rechten den Hut ab, wagte es aber nicht, diesen wie gewohnt dem Fräulein zu geben. Der kernseifige Erzengel trat einen Schritt zur Seite, worauf der Stiftsbibliothekar, ohne sich noch einmal umzusehen, in einem sonderbar steifen Schritt, aus dem er zwei oder drei Mal herausfiel, den langen Flur durchquerte, vom Engel gefolgt, steif und stumm. Wie ich früher einmal beobachtet hatte, würde er nun durch das Labyrinth der Gestelle des Katalogsaals in seine Gemächer und dort in die riesige, von einem Baldachin überdachte Bettstatt

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