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Fraeulein Stark

Titel: Fraeulein Stark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Huerlimann
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erhabener Onkel trieb es heimlich mit einer Geliebten!
    Ich setzte mich. Tippte mit meinem Fuß ihren Nagelschuh an. Konnte sich der lange Storchenbein einen Scherz gestattet haben? War es möglich, daß die Schreibstube aus purem Katzenhaß ein Gerücht geboren hatte: Denkbar, gewiß, aber sie hatte sogar einen Namen, diese Geliebte, Nares war ihr Name, und wenn ich es mir recht überlegte - eigentlich hatte ich schon immer geahnt, daß Onkel Katz ein doppeltes Spiel spielte. Wer dermaßen übertreibt, wer unter dem hochgestützten Verwandlungskelch jeden Morgen in eine wohlberechnete Verzückung ausbricht, wer sein Priestergewand als Sonderanfertigung aus einer Römer Exclusiv-Boutique bezieht und mit Schnallenschuhen, die er unter dem rotgefütterten Rocksaum hervortanzen läßt, den vornehmen Prälaten markiert, der versucht doch, mit all diesem halbseidenen Aufwand etwas zu verbergen, oder nicht?
    Ich legte meine Hände flach auf den Küchentisch, lehnte mich zurück, schickte den Blick zur Decke und sagte: Fräulein Stark, das haben die im Blut - Katz bleibt Katz.
    O ja, stöhnte die Stark, schlug sich die Hände vors Gesicht und brach dann in ein heftiges, zittrig in die Hutfeder fahrendes Schluchzen aus. Ich konnte sie verstehen, ich fühlte mit dem Fräulein. Da hatte sie dem Alten die Badeanstalt gemacht, hatte den Kiosk geführt und meine Mutter erzogen, und was war der Lohn; Ein gutes Jahr später -der Krieg war inzwischen vorbei -wurde Jacobus Katz aus dem hintersten Winkel des Scriptoriums hervorgezogen und zum Stiftsbibliothekar ernannt, und der alte Katz schickte die Stark in die Bibliothek, damit sie seinem Sohn den Haushalt führe. Ein paar Jahre lang ging alles gut. Er trug bauschige Röcke, und sie hatte Hosen an. Sie kam aus den Bergen, und seine Familie kam aus der Ebene. Sie nahm die Mahlzeiten in der Küche ein, und wiewohl das Fräulein immer wieder hören mußte, wie sich Monsignore während des Essens eine Zigarette anknipste, briet sie ihm Enten, braute zur Ochsenzunge eine Rotweinsauce, und während der Fastenzeit, wenn er zwanzig Kilo abspecken wollte, servierte sie ihm mit Waldkräutern gewürzte Bachforellen. Er schrieb eine Broschüre nach der andern, und sie, die kaum lesen, geschweige denn schreiben konnte, holte am Bahnhof die Gelehrten ab und führte sie in einem an Cicero und natürlich am Stiftsbibliothekar geschulten Latein in die Bibliothek: Venite, librorum amatores, hoc est praefecti nostri tabulanum!
    Das Fräulein tat mir aufrichtig leid. Sie hatte ihr Leben für die Katzen gelebt und mußte nun einsehen: Es war ein Leben für die Katz. Jacobus, der ehrwürdige Stiftsbibliothekar, hatte ein Mäuschen.
    Endlich hatte sich das Fräulein ausgeheult. Ich kniete mich hin, um ihr die schweren Nagelschuhe von den Füßen zu nehmen. Sie ließ es wortlos geschehen, und als ich kurz und sehr keusch an ihr hochblickte, glaubte ich in ihren nassen Augen eine müde Dankbarkeit zu sehen. Ich stand auf. Fräulein Stark, sagte ich, Sie sind nicht allein auf dieser Welt, ich werde Ihnen helfen.
    Du?
    Ja. Ich nehme Sie mit. Wir gehen zusammen.
    Zuviel versprochen; Aber nein, unter dem hoch den September überragenden Lichtgewölbe eines Augustblitzes war ich verwandelt worden, und zwar zum Guten, fühlte mich wie neu geboren, kannte meine Verantwortung und durfte davon ausgehen, daß wir im Kloster Einsiedeln bestimmt ein Plätzchen haben würden, das sich zum Nutzen meiner Patres für das Fräulein eignete. Bis morgen, flüsterte ich.
    Bis morgen, sagte das Fräulein Stark.
    Nunu, kann man da nur sagen, so ist das Leben. Als Kind war ich zu Anfang des Sommers in die Bibliothek gekommen, und als christlicher Jungmann würde ich morgen abziehen, am Arm das Fräulein Stark.

49
    Der sogenannte Wiboradentrakt lag tief in den Kellern und erinnerte mit seinem Namen und einem versteckten Schrein an Wiborada, eine Klausnerin aus der Frühzeit, die in einer grandiosen Vision erkannt hatte, daß eine raubmordende Horde dem Kloster nahe, worauf die Mönche mitsamt ihren Meßbüchern, Bibeln und Klassikertexten in die Bergwälder geflohen waren. Wiborada selbst, durch ein Inklusengelübde gebunden, harrte im leeren Kloster aus, betend und singend und Gott für ihr Martyrium dankend, denn auch das hatte sie vorausgesehen: daß sie mit ihrem Blut für die geretteten Bücher zahlen müsse. Als die Hunnen, eine Reitermeute aus der ungarischen Steppe, in die Abtei eindrangen, fanden sie nichts als ein

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