Fraeulein Stark
konnten sie nur ihre Haut, meist in einen Wintermantel gehüllt, über die Grenze retten. Sie hockten auf der runden Bank unter dem Nußbaum und sahen stumm vor sich hm. Sie warteten darauf, unter einen Sonnenschirm huschen zu dürfen, wo sich jeder auf ein niederes Stühlchen setzte, eine Beichte ablegte, auf Erlösung hoffte. Im Stuhl saß aber kein Priester, sondern er, der braungebrannte Bademeister, der seine Appenzellerpfeife nur selten aus der Mundnarbe herausnahm. Dabei ließ er den Steg, den Sprungturm und die Umzäunung für Nichtschwimmer nie aus den Augen - das mußte auch Tasso Birri, der immer wieder behauptete, Katz würde seine Aufsichtspflicht vernachlässigen, zur Kenntnis nehmen. Der Bademeister verletzte keine Gesetze. Die Anstalt wurde sauber geführt.
Ein Unglücksvogel nach dem andern legte seine Beichte ab, sprach seine Hoffnung aus, gab dem Bademeister die Hand, nickte einen Dank, blickte sich um, eilte davon. Das ging erstaunlich rasch, keiner bekam mehr als zehn Minuten, und nur einmal hatte ein alter, weißbärtiger Herr, der eine Art Zylinder trug, das Gespräch durch ein langes Sitzen und Schweigen und Ausruhen in die Länge gezogen. Er sei zu müde, hatte er gesagt, um weiterzufliehen. Katz führte ihn zur Bank zurück, unter den Nußbaum, und dort ist er in der Nacht gestorben.
Als sie die Grenze mit geringelten Stacheldrahtrollen vollständig dichtgemacht hatten, blieb Joseph Katz unter dem Sonnenschirm sitzen, und im Kiosk, das Kinn in die Hände gestützt, hockte die Stark. Seit Wochen kam niemand mehr, kein Flüchtling, kein Badegast, und triumphierend knatterte Tasso Birri mit seinem Motorrad über den Damm in die Sonne -als künftiger Ortsgruppenleiter hatte er Sprit genug, um nach Lust und Laune durch die Gegend zu fahren. Katz überwachte das leere Nichtschwimmerbecken, die leere Badewiese, den leeren Sprungturm. Er erfüllte nach wie vor seine Pflicht, fischte Algen heraus, faltete im späten Abend die Sonnenschirme zusammen, lehnte die Liegestühle dagegen, und schlug es sieben, gab er mit drei langen, die Wasservögel erschreckenden Pfiffen bekannt, daß die Anstalt geschlossen sei.
46
Als es zu nachten begann, stellte sich Joseph Katz, der, wie schon bemerkt, später mein Großvater wurde, auf den Damm und suchte mit dem Fernrohr den Himmel ab. Von hier aus sah man über die verschneiten Dächer von Kloster und Stadt, man sah über das abfallende Land bis zum Bodensee und ins Reich hinaus. Vorläufig war es auf der andern Seite noch ruhig, aber kaum war der Himmel vollständig dunkel, näherte sich von Nordwesten her ein Brummen, erst nur ein Brummen, dann ein dumpfes Dröhnen, der Damm füllte sich mit Menschen, und alle riefen Ah! und riefen Oh!, wenn am deutschen Ufer des Bodensees die Bomben einschlugen.
Für ihn waren diese Winternächte ein gutes Geschäft, ein Bombengeschäft, wie unten in der Stadt gespöttelt wurde, denn nun bildeten sich vor dem Kiosk seiner Badeanstalt, vor der Marroni-Pfanne, dem Grillrost und den Punschfässern schon im frühen Abend lange Schlangen. Ob die Alliierten heute nacht wieder mitspielen? Nicht immer wurde die Vorstellung gegeben, bei Schneefall und Nebel fiel sie aus, in manchen Nächten jedoch, wenn über dem Kanal und im Westen gute Sichtverhältnisse herrschten, waren Damm und Liegewiese so gesteckt voller Menschen, daß Katz kaum noch wußte, wo er das kassierte Geld hinstopfen konnte. Dann hatte er Hunderte von Zuschauern, die meisten mit Fernrohren oder einem Feldstecher bewaffnet, und begann der Nachthimmel zu glühen, schrien alle nach Bier Punsch Wein, he, Fräulein Stark, für mich noch ein Helles, für mich einen Roten!
Das Dröhnen wurde wieder dumpf, bohrte sich westwärts in die Ferne zurück, und es brannte in der eisigen Nacht der Bodensee, es brannte der Himmel, erst orange, dann rot, die Boys, sagte man, hätten ganze Arbeit geleistet.
Auch der Weiher lag nun wie ein glühender Spiegel in der nächtigen Landschaft. Dr. Katz schlug ein frisches Faß an, und die schöne Theres, seine Tochter, drehte auf dem glimmenden Grillrost die Bratwürste um. Sie hatte den Mantelkragen hochgeschlagen und trug ein Kopftuch, das über der Stirn verzipfelt war. Damit sie sich am Grill nicht verbrannte, hatte sie Handschuhe an, und beugte sie sich vor, um die knisternden Schweinsbratwürste zu drehen, glühte ihr Gesicht wie der Weiher.
Ein Leutnant der Schweizer Armee ließ sie nicht aus den Augen. Er war schlank, groß,
Weitere Kostenlose Bücher