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Fraeulein Stark

Titel: Fraeulein Stark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Huerlimann
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haben, das können wir Fräuleins nicht verhindern, und sollte es bei dieser einmaligen Beschmutzung bleiben, und zur Zeit sah es ganz danach aus, durfte man ein Auge zudrücken. Sie hatte mich ins Tabulanum geschickt, vor das hohe Gericht des Onkels, das schon, ja, Erziehung mußte sein, Menschwerdung, Christwerdung, aber weitere Sanktionen oder Poenitenzen waren in puncto puncti nicht vorgesehen. Bref: Ich war noch einmal, wieder einmal, zum vierten Mal davongekommen, und natürlich nutzte ich die abendliche Lectio, präziser: der Klosterschüler nutzte sie, um die hochinteressanten Überlegungen des Philosophen Kant über die Sittlichkeit zu vertiefen. Das gedankenlesende Fräulein wird es mitbekommen haben, jedenfalls machte sie keine weiteren Versuche, mich von meinem
    Pantoffelposten zu vertreiben, und der Onkel, obgleich von meiner Kant-Begeisterung ein wenig irritiert, war dennoch froh, daß sein Nepos in Richtung Philosophie ausschlug und nicht mehr ins Katzenschwänzische. Goldene Tage, könnte man bilanzieren. Ein heiterer Herbst. Meine Wirtsleute anerkannten, daß ich im Begriff war, ein anständiger Mensch zu werden, und ich selber fand mich mit dem Gedanken, daß der biederbrave Kuttenträger den kleinen Katz demnächst eliminieren würde, immer besser ab. Dem Onkel stellte ich neunmalkluge Fragen, und dem Fräulein gegenüber erklärte ich, wie gern ich an unseren Ausflug dächte, an den Nachmittag im »Porter«, die feinen Liköre, die lustige Heimkehr. Alles in Butter zwischen uns, kein Genadel mehr, das Laken ohne Makel, der Onkel zufrieden, das Fräulein auch.
    Und der Kleine, der andere, früher mal die Variante eins?
    Ach, der vergaß immer öfter, daß er drauf und dran war, seinen Kampf zu verlieren, sein kurzes Katzenleben auszuhauchen. Lag da wie ein vom langen Sommer früh ermüdetes, vor der Zeit gealtertes Wesen und freute sich, wenn sie kamen, freute sich, wenn sie rochen, freute sich, wenn die aufragenden Beinrohre in der Dämmerung unter ihren Röcken verschwanden, und da er dank der Brille all die Sächelchen und Schnällchen und Bändelchen da oben scharf wie Sterne in einer klaren Wüstennacht erkennen konnte, erregten sie ihn so heftig wie noch nie. Wie Liebkosungen wehten ihre Düfte über ihn hinweg, es flössen die Seiden, knisterten die Strümpfe, flüsterten die Unterröcke, und wenn es den katzengeschickten Händen mal gelang, die zu servierende Pantoffel mindestens eine Handbreit über den Boden zu halten, mußte meine Herrin, wollte sie in die Filzhaube schlüpfen, unwillkürlich ihren Stiefel heben, nicht sehr, aber doch so, daß ihr linkes Knie einen allerliebsten Winkel bietet, der leichte Saum ein wenig hochknistert und der eine Oberschenkel so weit nach oben steigt, daß sich mir für den Hauch eines Augenblicks jenes Bändel’ chen offenbart, das den schwarzen Strumpf am weißen Oberschenkel wie ein Indianerzelt in die Höhe zurrt. Warum erregten mich diese Dinge? Ja, verdammt nochmal, warum wurde mir das Fräulein in seinem Alpendecor mit jedem Tag gleichgültiger, während ich mit Stielaugen und Katzenschwanz auf ein Nunu Zeug reagierte, das die Bücherarche, die ja Abertausende von Wörtern hütete, nur in einem Dictionnaire anführte: Dessous = darunter, Unterteil, Unterwäsche;
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    Im ersten Kriegsjahr waren sie noch mit Leiterwagen gekommen, vollbepackt mit Hausrat und Kindern, und Dr. Joseph Katz, der Bademeister, hatte ihnen zu helfen versucht, weil ihn die Fuhren an die eigene Vergangenheit erinnert hatten, an die Flucht der Katzen in die Linth-Ebene, er an der Deichsel und die Mutter, den Kopf zwischen die gestreckten Arme gebeugt, hinter dem Karren, schnaufend, weinend, zieh, hatte sie gerufen, zieh! Damals waren sie sieben Kinder gewesen, und vielleicht, dachte er, vielleicht würden die beiden Geschwister, die er nach dem Tod der Mutter im Waisenhaus verloren hatte, mit den Flüchtlingen über die Grenze kommen, vielleicht standen sie eines Tages in der Badeanstalt, da war es wohl besser, die Gefahr zu ignorieren und den Fremden zu helfen. Dabei kam es Joseph Katz zugute, daß er Jurist war, so schnell konnte ihn Tasso Birri, der als selbsternannter Ortsgruppenleiter großtat, nicht austricksen. Das sprach sich natürlich herum, und so hatte er an den heißen Sommertagen nur noch selten einen Badegast, aber fast immer ein paar angezogene, krankhaft bleiche Unglücksvögel in der Anstalt, Flüchtlinge ohne Fluchtgepäck -seit Frankreich gefallen war,

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