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Fraeulein Stark

Titel: Fraeulein Stark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Huerlimann
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psalmodierendes Weib. Sie sahen sich um ihre Beute geprellt undhieben die Singende mit Äxten tot. Kurz nach der Jahrtausendwende sprach man sie heilig, und seither, also seit gut tausend Jahren, giltSancta Wiborada, die von Äxten zerteilte Klosterfrau, als Patronin aller Bibliotheken und Büchermenschen.
    Der Onkel hatte einen Schlüsselring in der Hand und leuchtete uns mit einer Taschenlampe treppabwärts. Hie und da schwirrte eine Fledermaus, beide zogen wir die Köpfe ein, dann erwischte er den passenden Schlüssel, stieß eine Eisentür auf, ließ den Strahl über abgetretene Steinstufen huschen, und wieder ging es abwärts, noch tiefer hinab in die ewige Kälte der Katakomben des uralten, seit Jahrhunderten von seinen Mönchen verlassenen, sich im Erdinnern verlierenden Klosters. Nachdem wir durch weitere Türen gegangen und mehrmals in Seitentunnels abgebogen waren -inzwischen hatte ich die Orientierung vollständig verloren -, standen wir schließlich vor einer Nische, in der es fadsüßlich nach Gruft roch. Hier, sagte der Onkel, haben sie uns die Wiborad erschlagen.
    Die Wiborad, wiederholte ich kleinlaut.
    Ja, sagte er mit dumpfer, wie erwürgter Stimme. Später war es dann der Ort, wo die Poenitenz erteilt wurde.
    Die Poenitenz.
    Der Onkel ließ den Strahl über die Wand gleiten, wo Folterinstrumente hingen, Geißeln Zangen Ketten, aber auch Kapuzen und Säcke mit Lederriemen. Damit, meinte er, hätten sie früher die Ketzer gezüchtigt.
    Die Ketzer.
    Ketzer und Lüstlinge, präzisierte er.
    War mir ein kleiner dummer Fehler unterlaufen; Hatte mein Vorschlag, wir könnten zusammen verreisen, zu einer peinlichen Entdeckung geführt; War sie früh’ morgens, als ich noch schlief, in die Kammer gekommen, um den Rest meiner Sachen zu packen; So würde es sein. Im Koffer war sie auf die verklebten Kniestrümpfe gestoßen und hatte, vom grausigen Fund geschockt, den Onkel informiert. Er schien sich in der schweren, vom Tod geschwängerten Luft noch unwohler zu fühlen als ich. Komm, sagte er, weg hier.
    Ich folgte ihm, wir stiegen noch steiler, noch tiefer hinab, wieder klirrte der Schlüsselring, das Schloß krachte, das Tor gab nach, die beiden Flügel gingen knarrend auf. Eisiger Hauch schlug uns entgegen, stumm blieben wir stehen. Ein hastiges Geraschel, vermutlich Ratten, dann hörten wir nur noch unseren Atem. Nunu, sagte er, da wären wir!
    Seine Schritte entfernten sich.
    Was hatte er vor; Warum sagte er nichts? Wie würde mich der ehrwürdige Stiftsbibliothekar für die Spermatikoi bestrafen?
    Da knackte es, aus dem Dunkel hoher Gewölbe platzten Dutzende von Glühbirnen herab und beschienen, wie ich zu meinem Erstaunen bemerkte, mit ihren zittrigen Lichtfäden tief in die Düsternis sich verlierende Schluchten aus riesigen, weißlich verstaubten Bücherregalen. Dieser Keller mußte um vieles größer und höher und weiter sein als der Barocksaal, der irgendwo da oben, zehn Stockwerke über uns, durch den lauen Nachmittag schwebte.
    Der Onkel stand am Fuß eines haushohen Gestells. Er hatte ein Buch in der Hand und sagte, als würde er den Satz ablesen: Du hast
    dich mit der Stark unterhalten?
    Ja, Onkel.
    Nach wie vor in die Seiten blickend, schob er die Brille in die Stirn.
    Worüber?
    Heute morgen über das Wetter.
    So. Über das Wetter.
    Oder ging es gar nicht um die Kniestrümpfe, ging es um unsere Flucht? Hatte ihm das Fräulein gestanden, daß ich ihr angetragen hatte, sie mitzunehmen und bei meinen Patres unterzubringen;
    Sorgfältig wurden die engbedruckten, fleckig vergilbten Seiten umgeblättert. Er las, schmunzelte, las weiter. Ich fröstelte. Endlich fragte er, ob ich ihm sagen könne, was im Portalrahmen geschrieben stünde.
    Psychesiatreion.
    Recte dicis, bemerkte der Onkel. Und was sagen wir, bevor wir unsere Gruppen ins Innere führen?
    Im Anfang war das Wort. Dann kam die Bibliothek. Und erst an dritter und letzter Stelle kommen wir, wir Menschen und die Dinge. Nomina ante res, die Wörter zuerst!
    Er las noch ein paar Sätze, dann zwängte er das Buch in die Reihe zurück, klappte die Brille auf die Nase, tauchte seitwärts weg und verschwand dann mit staub’ wirbelnder Kutte durch eine der zahllosen, nur schwach beleuchteten Querschluchten. Ich versuchte ihn einzuholen, doch jedesmal, wenn ich eine abzweigende Schlucht erreicht hatte, führte diese auf ein querstehendes Gestell zu, auf eine Wand aus lauter Bücherrücken, verstaubt, von Spinnen verwoben, nach Moder riechend und

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