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Fraeulein Stark

Titel: Fraeulein Stark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Huerlimann
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heißt, und wenn wir die Nachmittagsflaute überwunden hatten, las ich meine Schwarten und freute mich auf die Abendschöne, eine in Tücher und Trauer verschleierte Besucherin, die im orangenen Zwielicht des menschenleeren Barocksaals einsam ihre Runden drehte.
    Ja, alles in allem war es eine gute, eine glückliche Zeit. Schloff ein Füßchen in die Filzhaube, sah ich auf den Spann, vielleicht mal auf die Fersen, äußerst selten auf die dunkel eingewobene Hochferse eines Nylon-Strumpfs und so gut wie nie auf die scharfgezogene Naht oder auf einen Spitzenabsatz, der sich sonderbar langsam auf meine Filzzungen niederließ.
    Natürlich hatten wir auch männlichen Zulauf, doch hatten die meisten dieser Hosenbeine einen Krieg oder eine lange Militärzeit hinter sich, schwenkten unaufgefordert auf meine Pantoffelkompanie zu, faßten die Filze, machten rechtsum! und rutschten dann -einszwei! eins-zwei! -an mir vorbei in den Saal. Sie beherrschten den Skischritt, sie befolgten die Vorschrift, sie interessierten mich nicht.
    Das Fräulein sah, daß ich brav meine Pflicht erfüllte, kniend wie ein Büßer, immer höflich, stets korrekt, Woche für Woche, Tag für Tag, von neun Uhr vormittags bis sechs Uhr abends. An einem sonnigen Sonntagmorgen war es geschafft. Sie saß wie eine Reiterin auf ihrem Taburett, die Kaffeemühle zwischen den Schenkeln, und begann heftig zu kurbeln.
    Die Turmuhr schlug neun, ich mußte zum Dienst.
    Das Fräulein mahlte das Pulver noch feiner, und wie immer, wenn sie etwas tat, war sie ganz auf ihre Sache konzentriert, nur auf diese Sache, jetzt auf das heisere Mahlen der Kaffeemühle in ihrem Schoß. Als sie fertig war, sah sie auf und fragte: Hast du deine Sünden gebeichtet?
    Ich senkte den Blick -und dann, ohne viel zu überlegen, nickte ich stumm. Ich hatte ihre Attacke überstanden, der kleine Krieg war vorbei.

10
    Wirklich? Ich will mich nicht klüger machen, als ich damals war, und die heilige Wiborada, die Patronin aller Bibliotheken und Bibliothekare, aller Bücher und Schreiber, bewahre mich davor, wie mein Onkel zu übertreiben, aber ich meine mich zu erinnern, daß ich dem neuen Frieden nie ganz getraut habe. Sicher, das Fräulein behandelte mich freundlich, lieb wie eine Mutter, immer besorgt, lächelnd besorgt, schon am Morgen, wenn ich bei ihr in der Küche saß, rüstete sie Gemüse oder entschuppte einen armlangen Bodenseefisch. Sie ist guter Laune, bemerkte der Onkel, Nepos, il faut profiter de l’occasion!
    Der August kam näher, die beste Zeit des Jahres, bis zehn hatten wir unsere Frauengruppen, jeweils angeführt von der Hochtoupierten, zwischen zehn und elf die Hochzeitspaare, um elf gibt es Kaffee, um zwölf das Mittagessen, um drei die große Flaute, die Köpfe der Türgreise sinken nach vorn, das Gesicht wird zum Mützendach mit der matt glänzenden Schädelbeule, und wie am Vormittag, wenn jede Stunde etwa zehnmal länger dauert als die Stunde zuvor, wird es heißer und wird es heller und schließlich so staubig trocken, daß der Fluß der Zeit zwischen den Ziegeln im leeren Gang vollständig versickert. Die Sonne auf dem glatt geschliffenen Bibliotheksdeck ist vor Jahr und Tag ausgegossen, dann für immer vergessen worden. Sie bleibt einfach liegen. Wie die Glanzfolie über den Vitrinen, wie die Lichtreflexe auf den Bücherrücken. Die glasigen Blicke, die aus allen Augen heraushängen, wachsen in die Vitrinen hinein, in die Sonnenteiche, zur Decke hinauf. Eine große, alles verschlingende Leere. Nachmittag. Der tägliche Karfreitag, wie der Onkel sagt, in seiner heitersten Gestalt. Warten auf den Kaffee, Warten auf das Fräulein, das lieb mütterliche, das sorgende, das lächelnde, das neuerdings immer so freundliche, ah, da ist sie ja, schon scheppert ihr Wagen heran, ich empfange die Tasse, wie immer gut gezuckert, danke, hauche ich, vielen Dank.
    Ja, sie behandelte mich freundlich. Wie immer. Heute sogar besonders freundlich. Sie hatte eine neue Kaffeesorte besorgt und schenkte sie zum ersten Mal aus. Die Herren Hilfsbibliothekare, verschnapst wie sie seien, hätten nichts bemerkt, meinte das Fräulein.
    Was nicht bemerkt ?
    Daß es eine Spezialmischung ist!
    Ich trank die Spezialmischung.
    Gelt, sagte sie, und durch die Madonnenmaske blitzten plötzlich ihre Äuglein, du kannst die Spezialmischung riechen -du mit deiner Nase!
    Freundliche Worte, gewiß, fast ein Lob, aber es war nicht zu übersehen, daß ihre Freundlichkeit eine Maske war, und es war nicht zu

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