Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Fraeulein Stark

Titel: Fraeulein Stark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Huerlimann
Vom Netzwerk:
Chefs
    Ja, unterbrach sie ihn, eben! Ihr Neffe ist ein kleiner Katz, da müssen wir besonders aufpassen.
    Das Fräulein zeigte ihr Madonnenlächeln, und der Onkel, wieder zur Decke blickend, sagte tonlos: Der Junge trägt den Namen seines Vaters.
    Die Möbel waren dunkel geworden, und drüben, auf der andern Seite des Hofs, wuchs der Abendhimmel wie eine rotflammende Wand aus dem schwarzen Klosterdach. Es traf ja zu: Mama war eine geborene Katz, so hieß auch der Onkel, aber beide schienen ihren Geschlechtsnamen verloren zu haben, Mama durch Heirat, der Onkel durch sein Priestertum -Monsignore wurde er genannt. Unser Fräulein, sagte er seufzend, ist eine schlichte Variante.
    7
    Ich brauchte sie nicht zu fürchten, ich war der Neffe des Chefs, nepos praefecti, und der hatte ihr gezeigt, wer hier das Sagen hatte. Völlig zu Recht, schließlich lag ich pflichtgetreu in meinen perfekt ausgerichteten Pantoffelreihen, ließ sie auf ihren langen Beinen heranspazieren und verpaßte ihnen, um unseren Geigenboden vor Kratzern zu bewahren, die passende Größe: klein, mittel, weit. Dabei konzentrierte ich mich auf ihre Füße, zumal bei heftigem Verkehr, und kam es mal vor, daß ich an einer hochblickte, geschah dies nur, um ihren Dank mit einem Lächeln zu quittieren, gern geschehen, die nächste bitte!
    An den Vormittagen hatten wir großen Zulauf, vor allem in den ersten Stunden, wenn ein Bus nach dem andern seine Ladung entlud, scharrten hochtoupierte Besucherinnen in langen Schlangen dem Saal entgegen, und ich hatte so viele Waden Fesseln Röcke um die Ohren, daß ich froh sein mußte, wenn sich keine ohne die Filzpantoffeln an mir vorbeidrückte. Dann ließ der Andrang nach, und im mittleren Vormittag, wenn die Zeit zu stocken schien, hockte ich wie ein vergessener Basari in meinen Reihen und schmökerte in den modrig riechenden Schwarten, die ich mir bei den Hilfsbibliothekaren ausleihen durfte.
    Am liebsten las ich Reise-und Entdeckungsberichte, flog auf meinen Pantoffeln um die ganze Welt, durchquerte fieberverseuchte Kontinente, erforschte Vulkane, geriet in Taifune und verlief mich in fernöstlichen Städten mit scharf riechenden Pfeffermagazinen, dämmrigen Opiumhöhlen und wüsten Hafenkaschemmen.
    Um die Bücher zu bestellen, mußte ich ihre Nummern angeben, weshalb ich in den Flautezelten, wenn die Empfangsdiener schliefen, die Aufseher dösten und nur ein paar einzelne Besucherinnen über den Vitrinen hingen, in den Katalogsaal eilte, zwischen die Gestelle huschte, ein Schublädchen zog, in den Karten fingerte und á la Onkel ein: Ah!, ausstieß, ah, da haben wirs ja!
    Mittlerweile kannte ich die Bibliothek mit all ihren Abläufen, mit all ihren Geräuschen, im Tabularium praefecti residierte der Onkel, im Scriptorium hatten sie ihre Karteikarten zu tippen, und nach halb elf, wenn die vormittäglichen Busladungen abgefertigt waren, drang das Schreibmaschinengeklopfe der Hilfsbibliothekare zunehmend lauter in den Flur hinaus, zunehmend lauter und mit immer längeren Pausen beschrieben sie die unbarmherzige Langeweile der zweiten Vormittagshälfte, da jede Minute länger wurde als die Minute zuvor, bis dann, kurz vor elf, das Geklapper plötzlich aussetzte und die beiden Türgreise, die tief geschlafen hatten, ihre Schädel langsam hoben. Gleich würde es zum Englischen Gruß läuten, und das Fräulein würde erst ihnen, dann dem Rest der Mannschaft den Kaffee servieren.
    Die Schläge verhallten.
    Die Stark, sonst überpünktlich, genau mit der Glocke zur Stelle heute kam sie nicht. Ich zählte die Sekunden. Jetzt! dachte ich. Jetzt knallt sie die Küchentür auf und rumst den alten Servierboy mit den gegeneinanderschlagenden Tassen in den Flur hinaus.
    Inzwischen hatten auch die beiden Empfangsdiener gemerkt, daß die Kaffeezeit um gut eine Minute überschritten war. Sie schrumpelten ihre Lider wie Markisen hoch und glotzten unter dem Vordach ihrer Zirkusmützen in den schattenlosen Gang hinaus. Das darf doch nicht wahr sein, sagten ihre Mienen, wo bleibt der Kaffee? Wo bleibt die Stark?
    Um sieben nach elf rauschte die Spülung. Ein Hilfsbibliothekar schlüpfte aus dem Abort, kam auf langen Beinen auf mich zugestakst, im offenen Braunkittel. Was mochte sein Blinzeln bedeuten; Vorsichtshalber blinzelte ich zurück. Man kann ja nie wissen. Ist sie
    sauer? fragte der Hilfsbibliothekar.
    Glaub schon.
    Paß auf, sagte er, mit dem Kopf auf die Bürotür des Onkels
    deutend, sogar Katz hat Schiß vor der Stark.
    Ich

Weitere Kostenlose Bücher