Frag mich nach Sonnenschein -- Eine Italienerin in Deutschland (German Edition)
drei Stunden nach dem Essen warteten, bis sie uns, mit
Schwimmflügeln, Schwimmreifen, Käppi und Gummisandalen und mit tausend
Ermahnungen ausgestattet ins seichte Wasser schickten. Selbst als Kinder kamen
uns die Vorsichtsmaßnahmen unserer Mütter irgendwie übertrieben vor.
Jetzt aber
die Deutschen: Sie warfen ihre Kinder einfach ins Wasser, um ihnen das
Schwimmen beizubringen! Wie mutig, wie stark und vor allem: was hatten diese
Teutonen doch für ein Vertrauen in ihre Kinder! Das fand ich toll, das wollte
ich auch.
Auf der
anderen Seite wiesen unsere lieben Besucher aus Deutschland auch unverzeihliche
und für uns unverständliche Mängel auf. So behauptete mein Onkel steif und
fest, dass er einmal in einem Restaurant von einem Pärchen angesprochen wurde,
das komplett ratlos vor einem Teller Spaghetti saß. Jetzt muss man dazu sagen,
dass mein Onkel zu denjenigen Italienern gehört, die zum Verzehren von
Spaghetti Gabel und Löffel verwenden
(ja, Sie haben richtig gelesen, die gibt es tatsächlich!). Die Verbreitung
dieser Sitte in Deutschland verdanken wir also wahrscheinlich der damaligen
Unterweisung der ersten Spaghetti-Touristen durch meinen Onkel Franco (während
sich seine Jünger unberechtigterweise noch heute als Banausen beschimpfen
lassen müssen).
Ein anderes
Problem für uns Italiener war die deutsche Sprache: Die hörte sich für uns so
an, als hätte jemand etwas verschluckt und würde dann verzweifelt versuchen, es
aus seinem Hals wieder rauszubekommen (ungelogen!). Dennoch übte diese Sprache auf
mich durch ihre harten Konsonanten und abenteuerlichen Buchstabenkombinationen
einen gewissen Reiz aus. So kam es, dass ich mich in der Schule dazu
entschloss, Deutsch als Fremdsprache zu wählen. Bei Freundinnen und
Familienmitgliedern erntete ich für diese mutige, wenn auch in ihren Augen
etwas merkwürdige, Entscheidung den größten Respekt. Wäre Französisch doch die
leichtere und elegantere Lösung gewesen...
Meine
Deutschlehrerin, la signora Becchi (wobei wir sie unter uns nach italienischer
Art nur „la Becchi“ nannten und zu ihr „profe“ sagten), war eine kleine und
stämmige Frau mittleren Alters, die wahrscheinlich keinen Schönheitswettbewerb
gewonnen hätte (wenn sie je auf den
Gedanken gekommen wäre, an einem teilzunehmen, was ich aufgrund ihres ausgeprägten
Sinn fürs Pragmatische stark bezweifle). Das, was ihr an äußerlichen Reizen
fehlte, kompensierte unsere profe allerdings durch ein sympathisches Wesen und
die Liebe zur deutschen Sprache. Dass sie so sympathisch war und ihren Beruf
mochte, unterschied sie erstens von den meisten ihrer Kollegen, und führte
zweitens dazu, dass wir Kinder sehr bald ebenfalls Gefallen am Erlernen der
deutschen Sprache fanden. An dieser Stelle nehme ich die Gelegenheit
wahr, um loszuwerden, dass ich mich mit Mathe, Physik,
Italienisch und technischem Zeichnen nie anfreunden konnte ( chi ha orecchie per intendere intenda … ) [19] .
Frau Becchi
hatte einen einzigen Fehler: sie sprach die harten, deutschen Worte dermaßen
leidenschaftlich und voller Inbrunst aus - vor allem diejenigen, die mit „sp“
anfingen - dass die Schüler in der ersten Reihe sich gegen ihre Spucketröpfchen
mit ihren Heften schützen mussten.
Durch diese
überwiegend positiven Erinnerungen, die ich auch dank la signora Becchi mit dem
deutschen Volk verband, beschloss ich während des Studiums ein Auslandsjahr in
Deutschland zu verbringen, um meinen Horizont zu erweitern. Der Zufall wollte,
dass ich nach Norddeutschland kam und von da an eine ewig verregnete
Studentenstadt meine neue Heimat nennen konnte.
Obwohl ich
es bereits geahnt hatte, war der Unterschied zwischen der deutschen und der
italienischen Kultur vor Ort noch größer als ich gedacht hatte. Die Kulturen
hatten noch nicht wirklich angefangen sich zu vermischen und voneinander zu
lernen, der Euro und die Europäische Union waren noch Zukunftsmusik.
Und das war die Situation damals in Deutschland: In Supermärkten fand
man keinen Mozzarella, keinen Parmesan, keine tiefgefrorene Pizza. Spaghetti
gab es nur in der Fertig-Packung, zusammen mit zweifelhafter Tomatensoße und
noch zweifelhafterem geriebenem Käse. Ravioli gab es nur in der Dose und sie
waren definitiv nicht „al dente“.
Die
Holzofen-Pizza hatte es noch nicht über die Alpen geschafft und das, was die
italienischen Pizzaioli in Deutschland ein bisschen verschämt servierten, war
eine exakt runde, dicke Pfannen-Pizza aus dem
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