Fragmente: Partials 2 (German Edition)
Gebüsch und etwas Unterholz, wo ein Abzugskanal oder ein Graben verlief oder ein altes Farmhaus stand. Kira fand die Gegend besonders reizvoll, wenn die Sonne unterging und die ganze Szenerie, die Erde wie der Himmel, feuerrot, gelb und orangefarben aufflammte. Sie suchte Samms Blick, weil sie diese Schönheit mit jemandem teilen wollte, doch seine Miene war finster und verdrossen. Sie schob sich näher an ihn heran und erregte mit einem Nicken seine Aufmerksamkeit.
»Was ist los?«
»Was? Nichts.«
»Samm.«
Er sah sie kurz an und richtete den Blick gleich wieder auf den glühenden Sonnenuntergang. »Es ist nur …«
Kira folgte seinem Blick. »Es ist wunderschön.«
»Das ist es«, stimmte Samm zu. »Aber es ist auch … Ich war hier stationiert oder bin während der Revolution oft hier durchgekommen. Es war …« Wieder hielt er inne, als wären die Erinnerungen zu schmerzlich. »Daheim im Osten ist alles so kaputt und heruntergekommen. Die Gebäude sind zerstört und mit Kudzu überwuchert. Alles sieht so … alt aus. Jede Minute unseres Lebens haben wir die Beweise vor Augen, was wir zerstört haben. Hier draußen …« Wieder hielt er inne. »Sieh dich um! Hier gibt es kilometerweit kein einziges Haus, nur eine ebene Straße, die immer noch in recht gutem Zustand ist, als wäre der Krieg nie ausgebrochen.«
»Dann vermisst du die Erinnerungen an die Zerstörung?«, fragte Kira.
»Das ist es nicht«, antwortete er. »Ich … ich dachte, der Zustand der Welt habe sich wegen des Unheils verschlechtert, das wir – Menschen wie Partials – angerichtet haben. Inzwischen aber glaube ich, dass es der Welt gleichgültig ist, was wir tun, wer wir sind oder waren. Wir sind gekommen und verschwunden. Das Leben geht weiter, und das Land, das schon immer hier war, wird auch noch hier sein, wenn wir längst untergegangen und tot sind. Die Vögel werden immer noch fliegen, der Regen wird weiter fallen. Die Welt ist gar nicht untergegangen, sondern sie … sie erlebt nur einen Neuanfang.«
Schweigend dachte Kira über Samms Worte nach. Sie leuchteten ihr ein, und von dem Samm, den sie zu kennen glaubte, hätte sie solche Gedanken nicht erwartet. Er war ein Soldat und ein Kämpfer, ein unerschütterlicher Schutzwall, und doch hatte er auch eine weiche und beinahe poetische Seite, von deren Vorhandensein sie nichts geahnt hatte. Während sie ritten, warf sie ihm einen langen Blick zu. Wie alle Infanteristen der Partials sah er aus wie achtzehn, lebte aber schon seit neunzehn Jahren. Er war seit neunzehn Jahren achtzehn Jahre alt. Da er sein Leben als Achtzehnjähriger begonnen hatte, war er jetzt … siebenunddreißig? Diese Gedanken verflochten sich in ihrem Kopf zu Knoten. Es gelang ihr einfach nicht, sein seelisches Alter zu bestimmen und zu ergründen, wie er über sich selbst dachte. Wie er über sie dachte.
Schon wieder drängte sich der Gedanke in ihr Bewusstsein! Seufzend schüttelte sie den Kopf, als könnte sie ihn wegschleudern wie Wassertropfen aus dem Haar. Was hält Samm von mir? Was halte ich von Samm? Sie rief sich zur Ordnung, dass solche Überlegungen keine Rolle spielen sollten, dass es wichtigere Fragen gab, die sie beantworten musste, aber ihr Herz hörte nicht darauf. Es war sinnlos, über ihre Beziehung zu Samm nachzudenken, da sie nicht einmal wusste, wie eine solche Beziehung überhaupt beschaffen sein sollte. Ihr fehlte jeglicher Bezugsrahmen. Ihr Herz aber ließ alle vernünftigen Erwägungen außer Acht. Der Kopf arbeitete hektisch, unentwegt grübelte sie darüber, wer Samm war, was er war, woher er kam, was er wollte und wie Kira, die sein Leben immer wieder gefährdete, in das Bild hineinpasste. Er sprach darüber, dass sich die Welt erneuerte, und sie fragte sich, ob sie überhaupt in diese Welt gehörte. Solche Gespräche hatte sie schon hundertmal mit Marcus geführt und immer eine unerfüllte Sehnsucht verspürt. Bei Samm dagegen …
Nein. Deshalb bin ich nicht hier. Ich habe eine ganz andere Aufgabe. Über eine Zukunft mit Samm nachzudenken, ist eine sinnlose Übung. Aufgrund des Verfallsdatums wird er in einem Jahr sterben. Such die Antworten! Löse das Problem! Dir steht kein Leben zu, wenn du dir nicht selbst eins erschaffst, das lebenswert ist.
Sie ritt weiter und betrachtete den Sonnenuntergang. Der Himmel verfärbte sich von Rot zu Rosa und Blau. Dann breitete sich das tiefste Violett aus, das sie je gesehen hatte. Schließlich gingen die Sterne auf und strahlten, bis
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