Fragmente: Partials 2 (German Edition)
Feinde sie haben wollten, dann mussten sie schon hereinkommen und sie holen.
Noch einmal vergingen zehn Minuten, bis Kira Schmerzen im Bein verspürte und das Gewicht verlagern musste. Blinzelnd wischte sie sich den Schweiß von den Augen, die sich rot und wund anfühlten. Wieder vergingen zehn Minuten. Ihr Hals war ausgedörrt und tat weh, die Finger verkrampften sich am Griff des Gewehrs. Nichts rührte sich, kein Laut störte die nächtliche Stille.
Die Lampe flackerte blass und gelb, weil die Batterien fast erschöpft waren. Die Ladung ließ schon seit Tagen nach, bisher hatte Kira aber keinen Ersatz gefunden. Zehn Minuten später ging das Licht endgültig aus. In dem stockfinsteren Raum schloss sie die nutzlosen Augen und konzentrierte sich dafür ganz und gar auf das Gehör: der Türknauf, das Knarren von Bodenbrettern, das Quietschen von Schuhen, das Klicken einer Waffe, die jemand entsicherte. Noch einmal zehn Minuten. Zwanzig. Eine Stunde. Waren die anderen wirklich so geduldig?
Oder lauerte vielleicht überhaupt niemand dort draußen?
Kira rieb sich die Augen und dachte über ihre Lage nach. Sie hatte angenommen, sie sei in eine Falle getappt – das war jedenfalls die naheliegende Erklärung –, doch sie hatte niemanden bemerkt. War es denn möglich, dass der Mann dort draußen mutterseelenallein und unbewaffnet durch eine tote Stadt voller Ungeheuer ging? Das kam ihr höchst unwahrscheinlich vor, aber ganz ausgeschlossen war es auch nicht. War sie bereit, für diese Mutmaßung ihr Leben aufs Spiel zu setzen?
Sie ließ das Gewehr sinken und wimmerte, weil die steifen Schultern schmerzten. So leise wie möglich huschte sie zur Seitenwand des Raums, um nicht mehr im Bereich einer Salve zu sein, die durch die Tür fetzen konnte, und lauschte wieder. Alles war ruhig. Eng an die Wand gepresst tastete sie mit einer Hand nach dem Türknauf und zog die Tür so rasch wie möglich auf. Dann riss sie die Hand zurück und brachte sich in Sicherheit. Keine Schüsse, keine Rufe, kein Lärm außer dem Knarren der Tür. Sie starrte in die pechschwarze Türöffnung und sammelte ihren ganzen Mut, um hindurchzutreten. Dann beschloss sie, vorher noch etwas anderes zu versuchen. Sie hob den Monitor hoch, den sie vom Schreibtisch gerissen hatte, richtete sich auf und warf ihn durch die Tür. Das Gerät sollte das Feuer der Gegner auf sich ziehen, die draußen lauerten. Der Monitor prallte zu Boden, der Bildschirm zersprang, und dann herrschte wieder Schweigen.
»Erschießt mich nicht!«, rief sie vorsichtshalber und spähte durch den Türrahmen hinaus. Die Pizzeria war verlassen wie eh und je, draußen auf der Straße schimmerte das Mondlicht auf zerstörten Autos. Mit angelegtem Gewehr schlich sie hinaus, überprüfte die Umgebung und machte sich auf einen Hinterhalt gefasst. Sie war allein. Auf der anderen Straßenseite war der Eingang zur Untergrundbahn zu erkennen. Daneben lag einsam der Einkaufswagen des großen Mannes. Ein Kanister war zu Boden gefallen und umgekippt, das Wasser war herausgelaufen. Ein paar Schritte entfernt entdeckte sie den dicken Rucksack des Mannes an der Stelle, wo er ihn abgestellt hatte.
Kira ging einmal ganz um die Kreuzung herum, rannte von Auto zu Auto, um Deckung zu finden, und näherte sich schließlich dem Rucksack. Er war riesig, fast so groß wie sie selbst. Sie musste an die Krater und die Trümmer der beiden letzten Häuser denken. Wollte sie wirklich den Rucksack eines Bombenlegers öffnen? Möglicherweise hatte er eine Falle hinterlassen, um sie zu töten … andererseits hatte er vermutlich zahlreiche Gelegenheiten gehabt, sie einfach zu erschießen, wenn er es wirklich gewollt hätte. Oder war der Sprengstoff die einzige Waffe, die er kannte? Vielleicht besaß er gar keine Pistole.
Vorsichtig umkreiste sie den Rucksack und rieb sich mit der Hand über das Gesicht. Sie musste sich entscheiden. War es die Mühe wert? Das Ungeheuer ging ihr nicht aus dem Sinn – als sie das letzte Mal ein großes Risiko eingegangen war, wäre sie beinahe gestorben. Vorsicht kostete sie andererseits Zeit, und so großzügig durfte sie mit dieser Ressource nicht umgehen. Ihre Fragen waren immer noch nicht beantwortet: Was war der Trust? Inwiefern standen die Partials mit RM in Verbindung? Wer war sie, und in welchem Plan spielte sie eine Rolle? Die Antworten entschieden möglicherweise über Rettung und Vernichtung der ganzen Menschheit. So gefährlich ihre Situation auch war, sie musste sich
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