Fragmente: Partials 2 (German Edition)
entscheiden. Schließlich schlang sie sich das Gewehr über die Schulter, griff nach dem Rucksack …
… und hörte eine Stimme.
Kira fuhr zurück und ging hinter der Mauer des U -Bahn-Eingangs in Deckung. Die Stimme war leise, trug im mitternächtlichen Schweigen jedoch recht weit. Ein leises Murmeln in einer Seitenstraße, vielleicht einen halben Häuserblock entfernt. Es kam näher. Sie griff nach dem Gewehr und sah sich nach einer Fluchtmöglichkeit um, doch sie saß im offenen Gelände fest. Also kroch sie vorsichtig zur Seite und behielt den Eingang zwischen sich und dem Sprecher im Auge. Während er sich näherte, wurde das Murmeln immer lauter, bis sie die Worte verstehen konnte.
»Nie den Rucksack stehen lassen, nie den Rucksack stehen lassen.« Es war immer und immer wieder der gleiche Satz. »Nie den Rucksack stehen lassen.« Als sie hinausspähte, erkannte sie den großen Mann, den sie schon vorher beobachtet hatte. Er watschelte die Straße herauf. »Nie den Rucksack stehen lassen.« Seine Hände zuckten, die Augen irrten über die Straße. »Nie den Rucksack stehen lassen.«
Kira war nicht sicher, was sie davon halten sollte, doch irgendetwas an der Art, wie er ging, sprach, sich die Hände rieb – oder alles zusammen und noch mehr als dies –, erleichterte ihr die Entscheidung. Sie hatte genug Zeit verschwendet und musste handeln. Sie schlang sich das Gewehr über die Schulter, spreizte die Finger, um ihm die leeren Hände zu zeigen, und richtete sich zwischen ihm und dem Rucksack auf.
»Hallo!«
Der Mann blieb wie angewurzelt stehen, riss entsetzt die Augen auf und floh auf dem Weg, auf dem er gekommen war. Kira wollte ihm instinktiv folgen, wusste aber nicht, ob das überhaupt ratsam war. Plötzlich jedoch blieb er stehen, krümmte sich, als wäre er verwundet, und schüttelte heftig den Kopf. »Nie den Rucksack stehen lassen.« Er drehte sich wieder zu ihr um. »Nie den Rucksack stehen lassen.« Als er sie sah, rannte er abermals einige Schritte weg, als wäre er erschrocken, hielt aber gleich wieder inne, wandte sich um und beäugte mit gequälter, verängstigter Miene den Rucksack. »Nie den Rucksack stehen lassen.«
»Schon gut.« Kira fragte sich, was mit dem Mann los war. Mit einer solchen Reaktion hatte sie nicht gerechnet. »Ich tue dir nichts.« Sie gab sich Mühe, so harmlos wie möglich zu klingen.
»Ich brauche den Rucksack.« Es klang sehr verzweifelt. »Ich darf den Rucksack nicht stehen lassen. Ich nehme ihn immer mit. Er ist alles, was ich habe.«
»Sind das deine Vorräte?« Sie trat beiseite. Nun konnte der Mann den Rucksack sehen und näherte sich ihm. Er streckte die Hand aus, als wollte er hastig danach greifen, obwohl er noch zwanzig Meter entfernt war. »Ich will dir nichts stehlen«, beteuerte sie und betonte jedes Wort. »Ich will nur mit dir reden. Wie viele andere gibt es noch?«
»Das ist der einzige«, flehte er. »Ich brauche ihn, ich darf ihn nicht verlieren, er ist alles, was ich habe …«
»Nicht der Rucksack«, erwiderte sie. »Ich meine andere Leute. Wie viele andere Leute leben bei dir in dem sicheren Haus?«
»Bitte gib mir den Rucksack!« Vorsichtig schlich er auf sie zu, bis er im Licht stand. Sie entdeckte Tränen in seinen Augen. Seine Stimme klang heiser und verzweifelt. »Ich brauche ihn, ich brauche ihn, ich brauche den Rucksack. Bitte gib ihn mir zurück!«
»Hast du Medizin darin? Brauchst du Hilfe?«
»Bitte gib ihn mir!«, murmelte er immer wieder. »Nie den Rucksack stehen lassen.« Kira dachte kurz darüber nach und zog sich seitlich weiter zurück, bis sie zehn Meter hinter dem Einkaufswagen stand. Nun konnte er sich nähern und den Rucksack nehmen, ohne sich in ihre Reichweite zu begeben. Er stürzte los, brach auf dem Rucksack zusammen, umklammerte ihn und weinte. Kira sah sich unterdessen um, ob ein Hinterhalt drohte – Heckenschützen in den Fenstern oder andere Männer, die hinter ihm die Straße entlangkamen. Er schien jedoch ganz allein zu sein. Was ist hier los? Ist er der Bombenleger, den wir bisher nicht aufspüren konnten und dessen raffinierte Fallen nicht einmal die Partials entdeckten, bevor es zu spät war?
Da er nicht bereit schien, über irgendetwas anderes als den Rucksack zu reden, konzentrierte sie sich zunächst darauf.
»Was ist da drin?«
Er antwortete, ohne den Blick zu heben. »Alles.«
»Dein Essen? Deine Waffen?«
»Keine Waffen.« Er schüttelte energisch den Kopf. »Keine Waffen. Ich bin ein
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