Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
entgegen. »Was hat das zu bedeuten?«, fragte ich, während wir Hand in Hand loszogen.
»Du!«, hörte ich, noch ehe wir drei Schritte weit gekommen waren. Automatisch drehte ich mich um. Shana steuerte mit entschlossener Miene auf uns zu. »Vielleicht sind die hier jetzt besser für dich«, erklärte sie mit ausgestreckter Hand.
Sie überreichte mir zwei Kreolen. Sie waren klobiger als mein früheres Geschmeide, doch sie waren auf irgendeine Weise bearbeitet worden, die das Gold zum Glitzern brachte. »Die sind aber schön«, sagte ich und probierte sie sofort an. Sie verfingen sich nicht in der Sklavenkette, die von dem einen Loch in der Mitte des Knorpels an meiner Ohrmuschel zum anderen Ohr verlief.
Sie strahlte. »Shana sorgt für die ihren«, sagte sie. »Und jetzt los! Ihr kommt zu spät!«
Aufgekratzt marschierten wir durch die Gänge. Als Sklaven bekamen wir diese Bereiche des Palastes sonst nicht zu sehen. Normalerweise blieben wir in den Dienstbotengängen, die unsichtbar die Zimmer miteinander verbanden und dadurch die Illusion von Eleganz wahrten. Es wäre äußerst uncool gewesen, Nachttöpfe durch die Hallen der Adligen zu tragen.
Gott sei Dank war mir diese Arbeit bislang erspart geblieben.
Wir blieben vor den Türen zum Audienzsaal stehen und hielten nach dem Zeremonienmeister Ausschau. Es ließ sich niemand blicken, darum klopfte Cheftu zaghaft an.
»Was soll das alles?«, fragte ich.
»Ich habe keine Ahnung. Es kommt mir ausgesprochen eigenartig vor, dass sie mich sehen wollten.« Er blickte mich an. »Ich habe sie gebeten, auch nach dir zu schicken.«
»Wieso ist das eigenartig? Du hast extrem viele Begabungen, es überrascht mich, dass ihnen das nicht schon früher aufgefallen ist.«
»Geliebte, als ich hier mit dir ankam, war ich bereits ein Sklave, nachon?«
Richtig. Niemand konnte ahnen, dass Cheftu ein Arzt und ein ehemaliger ägyptischer Adliger und ein Schreiber oder auch nur eines davon war.
»Hat dir die Arbeit auf dem Feld gefallen?«, fragte ich.
Wir hörten, wie jemand hinter der Tür uns hereinrief. Cheftu blickte kurz über die Schulter zurück, dann drückte er die Holztüren an ihren Lederangeln auf. »Ausgesprochen gut.« Plötzlich schüttelte er gedankenverloren den Kopf. »Ich weiß nicht, ob ich je wieder als Arzt arbeiten will.« Noch bevor ich etwas auf diese merkwürdige Bemerkung erwidern konnte, schwang die Tür auf.
Es war der lausige Abklatsch eines Audienzsaales: dunkel, mit niedriger Decke und so klein, dass man sich fast in einer Zelle der Bastille wähnte. N’tan lagerte in seiner weißen Robe. Dadua saß gedankenversunken Yoav gegenüber an einem Spielbrett. In einer Ecke zog ein Mädchen neue Saiten auf ihren Kinor. In einer anderen Ecke saß Avgay’el und webte, wobei sie schweigend und geschickt mit Kamm und Schiffchen hantierte. Dies also war der Saal des Königs von Israel? Im Vergleich dazu nahm sich der Rest von Mamre beinahe kosmopolitisch aus.
»Dein Sklave ist Ägypter, Isha?«, fragte mich Yoav ohne jede Vorrede. Mein Sklave? Ich war Sklavin. Sie starrten mich an, bis mir wieder einfiel, dass technisch gesehen Cheftu mein
Sklave war. Irgendwie. »Äh, ken«, sagte ich mit einem verstohlenen Seitenblick auf Cheftu.
»Dann frag ihn, ob er jemals Gerüchte über Gold in der Wüste vernommen hat.«
Glaubten sie, Cheftu würde sie nicht verstehen? Wollte Cheftu sie in dem Glauben lassen, er verstünde sie nicht? Er schüttelte unmerklich den Kopf. Ich begriff nicht recht, warum er es ihnen verheimlichen wollte, doch ich übersetzte die Frage Wort für Wort. Er antwortete in fließendem Ägyptisch: »Welcher Wüste?«
Sie wechselten Blicke untereinander, als ich ihnen das übersetzte. »Der Wüste von Midian.«
Ich übersetzte und gab mir dabei alle Mühe, nicht mehr so begriffsstutzig zu klingen. »Lo, er hat nichts dergleichen gehört«, sagte ich.
»Kennt er die Legende, wie die Stämme aus seinem Heimatland flohen?«
Redeten sie vom Exodus? Würden die Ägypter die Kunde von ihrer Niederlage weitergeben? Wohl kaum! Ich übersetzte und Cheftu erwiderte, dass er als Ägypter nie davon gehört hätte. Allerdings sei er zusammen mit einem Apiru versklavt gewesen, der ihm von diesen Geschichten erzählt habe.
»Einem Apiru!«, schnaubte N’tan.
Cheftu und ich tauschten einen Blick, denn als »Apiru« hatten die Ägypter die Israeliten bezeichnet. Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen und meinte: »Für die Ägypter seid ihr
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