Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
Dabei wurde er von den siebzig Ältesten der Stämme begleitet, den Zekenim, während er seinen Bruder Aharon und seine Schwester Miryam zurückließ.« Alle im Raum verstummten. Er nahm die siebzig schon beim ersten Mal mit? Yoav sah besorgt aus; er wollte uns nicht in die Augen sehen.
N’tan seufzte und übernahm das Erzählen. Auf Aramäisch oder Akkadianisch oder Hebräisch oder was für eine Sprache das auch sein mochte. War das ebenfalls ein Test? Rechneten sie damit, dass Cheftu ihre Sprache ebenfalls verstand? Verstand er sie? »Die Menschen hatten Angst. Sie hatten in Städten gewohnt, jetzt waren sie in der Wüste. Sie waren die üppigen Ufer des Nils gewohnt und daran, jederzeit Wasser zu haben und Essen im Übermaß. Hier gab es nichts als Sand und hin und wieder eine Palme. Dann verschwinden all ihre Anführer und bleiben tagelang, wochenlang weg. Die Menschen bekommen Angst.«
»Sie gingen zu Aharon«, fiel Dadua N’tan ins Wort. »Sie baten ihn, eine Statue zu machen. Irgendetwas, das sie sehen konnten, damit sie keine Angst mehr zu haben brauchten.
Diese Statue würden sie anbeten können, sie würden um die Sicherheit ha Moshes und der Zekenim bitten können.
Aharon war das unangenehm, darum versuchte er, ihnen die Idee abspenstig zu machen, indem er sie um all ihr Gold bat. Nun war das meiste Gold, das sie aus Ägypten mitgenommen hatten, gemeinsam verwahrt worden. Nur Kleinigkeiten wie Ohrringe oder Armbänder, die leicht zu tragen und zu transportieren waren, hatten die Menschen für sich behalten. Doch goldene Bilder, Lampen, Kisten, all das war auf einen Karren geladen worden und wurde in einem verschlossenen Zelt aufbewahrt.
Aharon glaubte, seine Stammesgefährten würden ihre Ohrringe und Armbänder nicht hergeben und er brauchte die Statue darum nicht herzustellen.«
»Er irrte«, unterbrach N’tan wiederum Dadua. »Sie brachten ihm ihr Gold. Dann versuchte er wiederum, ihnen den Gedanken abspenstig zu machen, doch sie bauten erst einen Altar und entzündeten dann ein Feuer, in dem sie das Gold schmelzen wollten. Ein paar Goldschmiede hatten ihr Handwerk in Ägypten gelernt.
Darum machten sie Bier wie die Ägypter, kleideten sich, wie sie es über Generationen hinweg bei den Ägyptern gesehen hatten, und machten sich schließlich daran, das Abbild eines Gottes zu formen. Eines ägyptischen Gottes.«
Yoav schnitt N’tan das Wort ab. Es war ein strategischer Schritt, um die Verfehlungen der Stämme nicht zu enthüllen. Der General sprach wieder Ägyptisch. »Der Rest der Geschichte tut wenig zur Sache. Die Hauptsache ist, dass ein Großteil des Goldes nicht verwendet wurde, weder für das Götzenbild oder die nachfolgende Bestrafung noch für den Bau des Gnadenthrones, unseres Totems, und seiner Werkzeuge.«
»Deswegen«, sagte Dadua, »geht N’tan in die Wüste. Sobald er wiederkehrt, werden wir den Gnadenthron in die Stadt bringen und Anspruch auf Jebus, seine Heimatstadt, erheben. Aber wir brauchen das Gold.« Der König sah Cheftu an. »Yoav kann ich nicht entbehren; doch niemand außer ihm spricht Ägyptisch und versteht zugleich unsere Sprache. Verstehst du unsere Sprache?«, fragte er plötzlich verunsichert.
»Ken«, antwortete Cheftu.
Wieso hatte ich dann übersetzen müssen? Sie hatten mich auf die Probe gestellt! Oder hatten sie Cheftu auf die Probe gestellt?
»Zwischen hier und dort gibt es viele ägyptische Außenposten. Pharao scheint sich zwar für nichts zu interessieren, was außerhalb seines Flusstales vor sich geht, doch wir sollten trotzdem Vorsicht walten lassen. Es wäre besser, einen Ägypter dabeizuhaben, der mit ihnen sprechen kann.« Daduas Blick war abwägend. »Es ist nicht zu übersehen, dass du nicht von Geburt an Sklave warst.«
Cheftu blieb reglos stehen.
»Als Ägypter weißt du auch manches über die goldenen Götter, über die Statuen, die wir ans Licht bringen werden. Du liest und schreibst, hat man mir berichtet?«
Wer hatte ihm das berichtet?, fragte ich mich.
»Hieroglyphen, Keilschrift, die Sprache der Seevölker«, bestätigte Cheftu.
Dadua warf Yoav einen zornigen Blick zu. »Wieso haben wir diesen Mann auf die Felder geschickt?«, fragte er. »Ich hätte einen Schreiber brauchen können!« Er sprach in einem anderen Dialekt als üblich, doch ich verstand ihn trotzdem. Ich sah aus dem Augenwinkel zu Cheftu hinüber. Hatte er ihn ebenfalls verstanden? Verfügte auch er über ein inneres Lexikon? Woher kannte er diese Sprachen?
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