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Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Titel: Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Land?«
    »Ken«, bestätigte ich. »Mein Vater ist Diplomat und darum bemüht, zwischen dem jüdischen Staat und den vielen arabischen Ländern Frieden zu stiften.«
    »Deshalb bist du also hier«, flüsterte er ehrfurchtsvoll. »Du weißt all diese Dinge.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe mich schon gewundert, wie du mit Yoav gesprochen hast. Du hast dich mit einem Mann aus der Geschichte gestritten, Chérie. Du hast es gewagt, eine Gestalt aus der Bibel zu beleidigen.«
    »Das brauchst du mir nicht unter die Nase zu reiben. Die Vorstellung lähmt mich vollkommen. Ich darf einfach nicht daran denken, was das für ein Volk ist oder woher ich es kenne.« Hastig nahm ich einen Schluck Bier und spuckte die Spelzen wieder aus. Als Sklaven bekamen wir keine Becher mit eingebauten Filtern. »Also, was ist das für eine Geschichte, die N’tan da erzählt hat? Hast du schon davon gehört?«
    Er stand auf, streckte sich und sah hinaus auf die Weinstöcke, an denen sich eben die ersten Blätter zeigten. Er hielt mir die Hand hin, und gemeinsam kletterten wir auf die Mauer, wo wir in der untergehenden Sonne saßen und auf das gedeihende Land blickten. »Chalev oo’d’vash«, flüsterte ich.
    »Wirklich«, bestätigte Cheftu. »Soweit ich mich an die Heilige Schrift erinnere, steht nichts darin, dass Moshe le bon Dieu von Angesicht zu Angesicht gegenübergesessen hätte. Im Gegenteil, er konnte Gott nicht ins Gesicht sehen, sondern nur seinen Rücken. Selbst dadurch hat er sich Verbrennungen zugezogen, und sein Gesicht wurde so entstellt, dass sein Volk ihn bat, sein Antlitz zu verhüllen, als er in ihr Lager zurückkehrte.«
    »Wieso?«
    »Er war in Gottes Nähe gewesen, das zeigte sich auf seinem Gesicht und machte ihnen Angst.«
    Puh. Als wäre er verstrahlt oder so?
    »Ich dachte, wer den Berg Gottes berührt, müsste sterben«, sann er nach. »Von dieser Geschichte, die N’tan da erzählt, habe ich noch nie etwas gehört.«
    »Hältst du sie für wahr?«, fragte ich. Der Himmel war in Streifen von Lavendel, Rosa und Gold unterteilt. Cheftus kräftige Finger verschränkten sich mit meinen. Mir stiegen Tränen in die Augen, so makellos kam mir dieser Moment vor. Ich spürte nicht einmal mehr meine Ketten. Meine Ohren waren verheilt, und ich begriff, dass ich meine Versklavung durch meine Angst wahrscheinlich nur verschlimmert hatte. Inzwischen fühlten sich meine Ohren an wie gepierct; gut, sie waren mit zentimetergroßen Löchern gepierct, und zwar durch den Knorpel hindurch, aber das war vollkommen unwichtig. Lächelnd drückte ich seine Hand. Endlich hatten wir unser Eckchen im Paradies gefunden.
    »Ach«, sagte er. »Woher soll ich das wissen? Dieses Volk hält diese Geschichten schon seit Generationen lebendig.«
    »Glaubst du, er beruft sich dabei auf eine Legende oder auf eine Tatsache? Und wenn es eine Tatsache ist, warum haben wir dann nie davon gehört?«
    »Dass siebzig Männer auf einen Berg klettern und mit Gott speisen, kommt mir zu abwegig vor, als dass es erfunden sein könnte.«
    »Nicht erfunden, nur übertrieben«, schränkte ich ein.
    »Ist eine Übertreibung keine Erfindung?«, fragte er.
    Ich sah ihn kritisch an; ich wusste es nicht. »Wann sind sie da hinaufgegangen?« Im Geist sah ich Charlton Heston als Moses ganz allein mit den Zehn Geboten vom Berg herabsteigen. »Ich dachte, Gott hätte die Gebote mit dem Finger in Stein gemeißelt.«
    Cheftu lächelte und drückte mich. Die Nacht hatte sich herabgesenkt, und die Sterne begannen in weißen, grünen, rosa und gelben Sprenkeln vor dem dunklen Himmel zu funkeln. Es erstaunte mich, dass ich tatsächlich verschiedene Farben erkennen konnte, auch wenn ich stets gewusst hatte, dass sie da waren. Verhielt es sich so mit meinem ganzen Leben? War ich jemals so glücklich gewesen? »Du erinnerst dich ziemlich ge-nau für eine Isha, die behauptet, nichts von der Bibel zu wissen.«
    »Mimi wäre stolz, das zu hören.« Ich gab ihm ein Küsschen auf den Hals.
    »Deine grand-mère?«
    »Oui.«
    Cheftu legte seine Wange an meine. Seine Bartstoppeln hatten endlich das Sandpapierstadium und die Pferdehaarphase hinter sich gelassen und waren nun weich wie ein Pelz. Die Locken über seinen Ohren wurden immer länger, darum hatte er sich angewöhnt, die langen Haarsträhnen wie ein Israelit um seine Ohren zu schlingen. »Es muss Moshes zweiter Aufstieg auf den Berg gewesen sein«, murmelte Cheftu an meinem Ohr, wobei ich die Vibrationen gleichzeitig in seiner

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