Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
sich der Himmel spiegelte. Keine Fische schwammen in diesem Gewässer, keine Tiere labten sich an seinem Ufer. Felsbrocken und phantastisch geformte Salzgebilde ragten aus dem Wasser auf oder lagen am Strand herum. Selbst der Wind war mit einem stechenden Salzgeruch beladen.
Über einen Tag lang würden sie durch die sengende Hitze am Ufer dieses Meeres, das keinerlei Erfrischung bot, entlangwandern. Die weit entfernten und oben abgeflachten Hügel im Westen waren mit Felsbrocken übersät, unter denen Berglöwen und wilde Ziegen hausten. Und Briganten.
Cheftu drehte sich zu der zusammengestellten Karawane um: siebzig Söhne aus den edelsten Familien, dreißig Sklaven sowie hundert Esel, eine Hand voll Priester, N’tan und er selbst. Erste Wahl für eine Brigantenbande, vor allem auf dem Rückweg. Wieder einmal ging ihm durch den Kopf, dass es nicht besonders schlau war, das Gold quer durch die Wüste zu schleifen, nicht solange sie keine Armee-Eskorte hatten.
Bald würde die Sonne untergehen, und sie würden noch weiterwandern. Um die Männer, vor allem jene aus den kühleren Hügeln um Jebus und das Galil, an die Hitze zu gewöhnen, marschierten sie bei Nacht. Außerdem fiel, solange die Männer in der Abenddämmerung erwachten und sich im Morgengrauen schlafen legten, weniger ins Gewicht, dass es weder Wein noch Weiber gab.
Cheftu wünschte, sein Körper und Geist würden sich genauso leicht in Ketten legen lassen. Er konnte halb tot sein und trotzdem seine Frau begehren, nicht allein um der physischen Er-leichterung willen, sondern auch, weil er bei ihr, in ihr, sein Heim fand. Er nahm einen Schluck lauwarmes Bier, dann stand er auf und riss seine Gedanken gewaltsam von Chloe los. Etwas an dieser Reise machte ihn nervös; irgendetwas stimmte nicht.
Sein Blick strich über die fernen Hügel, die von sterbendem Sonnenlicht überspült wurden. Sie wurden beobachtet, doch er wusste nicht von wem. Er wünschte, er hätte ein Schwert; doch das durften nur freie Männer tragen.
»Ich werde dir eins geben.« N’tan war neben ihn getreten und hatte seine Gedanken erraten.
»Adon!«, begrüßte Cheftu den Tzadik. Der Nathan der Bibel; bisweilen war es einfach nicht zu glauben. »Wie kann ich dir helfen?«
Der Prophet zwirbelte den Bart zwischen den langen braunen Fingern und kniff die Augen vor der Sonne zusammen. »Wie lautet dein Name?«
»Du kennst meinen Namen.«
»Chavsha ist nicht dein wahrer Name, Ägypter. Wie lautet dein Name?«
Cheftu spürte ein Prickeln in den Nerven, sagte aber nichts. Vielleicht hatte man ihn bei einer Lüge ertappt, dennoch war er nicht gewillt, die Wahrheit zu sagen. N’tan wartete schweigend ab.
»Wenn du mir deinen Namen nennst und mir verrätst, wie du zum Sklaven in Ashqelon wurdest, dann werde ich dir eine Klinge anvertrauen.«
»Der Preis erscheint mir zu hoch, Adon«, erwiderte Cheftu kühl. »Ich soll meine geistige Verteidigung gegen eine physische eintauschen?«
»Das wird mir zeigen, welche Welt du mehr fürchtest.«
N’tan drehte sich zum Gehen um.
»Wie lautet dein wahrer Name, Adon?«, fragte Cheftu verärgert.
N’tan wandte sich noch einmal um. »Wenn du der bist, für den ich dich halte, dann kennst du meinen Namen. Du kennst meine Familie und meine Ahnen. Wenn du es nicht bist, dann werde ich mich nicht vor dir offenbaren.«
Cheftu blieb wie angewurzelt stehen und sah dem kleinwüchsigen, dunkeläugigen Mann mit den langen Locken und dem langen Lockenbart nach. N’tan deutete ein Lächeln an.
»Siehe das, was ist, nicht das, was du zu sehen meinst.«
Cheftus verwirrtes Stirnrunzeln ließ sein Lächeln verschwinden. »Hinfort, Sklave.«
Cheftu klaubte seine Habseligkeiten zusammen und trat auf den Pfad, der ihn in die Freiheit führen würde.
WASET
RaEm starrte auf die Zähltafel. Es war hoffnungslos. Es gab keine Nahrung für Ägypten. Es gab kaum genug für die königliche Familie! Im ganzen Lande hatte es Missernten gegeben. Die Überschwemmung hatte den Boden kaum angefeuchtet. Ohne die Tränen des Nils gab es kein schwarzes Land, nur das alles umschließende Rot der Wüste.
Sie hatte alte Lagerhäuser ausfindig gemacht, die mit Amen-hoteps Kartusche versiegelt waren. Nach dem Öffnen der Türen hatten die Soldaten die Fackeln aufgenommen und waren ihr vorangegangen.
In die Leere.
Es war nichts mehr übrig. Kein Halm, kein Körnchen, kein Samenkorn. Es gab nichts zu essen.
Echnaton hatte bestätigt, dass sie selbstverständlich alles
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