Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
darunter stellte. So hatte sie angefangen, Sky TV zu schauen.
Als sie schließlich begriff, was Unmögliches geschehen war, tastete sie sich zaghaft in die Welt vor.
Jetzt, wo sie mehr Bilder und damit mehr Wissen hatte und auch die Chloe Kingsley, die immer noch in ihrem Kopf hauste, besser verstand, konnte sie allmählich begreifen, was gesagt oder getan wurde.
Wohl fühlte sie sich dennoch nie. Sie ekelte sich vor ihrer eigenen Haut. Sie versuchte, Ägypten in den dunkeläugigen Menschen, die jetzt im Niltal lebten, wieder zu finden, doch Ägypten war verloren. In panischer Angst, das Rote und Schwarze Land verlassen zu müssen, hatte RaEm ihren Stolz hinuntergeschluckt und Phaemon, jenen Liebhaber, den sie zu ermorden versucht hatte, jenen Mann, den sie mit sich durch die Zeit geschleppt hatte, um Vergebung gebeten.
Zumindest war sie danach nicht mehr allein.
Manches an der Zukunft war einfach phantastisch.
Die Elektrizität, Neonlichter, Käse in schier unzähligen Geschmacksrichtungen. Kondome. Hochhackige Schuhe. Zeitschriften. Fernsehen. Doch ihr gehörte nichts davon.
RaEms Blick ging über den leeren Audienzsaal. Leer, da dies ein Feiertag Amun-Res war, des verbannten Gottes aus Waset. Sie saß auf Ägyptens Thron. Mit Krummstab und Geißel in den Händen. Hier hatte Hatschepsut gesessen; jetzt saß sie hier. Der Thron gehörte ihr. Ägypten gehörte ihr. RaEm musste es bewahren, sonst würde es am Ende vom Erdboden getilgt und sie wäre wieder allein.
Doch Ägypten wurde von niemand anderem gemeuchelt als von RaEms Geliebten, ihrem Liebhaber, ihrem Bruder.
Noch einmal überdachte sie ihre Wahl: ihr Liebhaber oder sie selbst?
8. KAPITEL
MAMRE
Es gab keine korrekte Übersetzung für meine Reaktion. Uff! Außerdem hätte sie wohl nicht der Etikette entsprochen. Darum beließ ich es bei einem gehorsamen Nicken.
»Du hast gehört, wozu uns haMelekh vor ein paar Wochen herausgefordert hat.« Yoav stand auf und begann hin und her zu gehen. Ohne Rüstung sah er in der einärmligen Tunika der Israeliten aus, als würde sein fleischiger Leib im nächsten Moment das Gewebe mit dem Goldbesatz sprengen. »Wer als Erster in die Stadt Jebus vordringt, erwirbt für alle Zeiten den Rang des Rosh Tsor haHagana. Das will ich sein.«
So eine Überraschung.
Er drehte sich zu mir um. »Und du wirst mir dazu verhelfen.« Das war wirklich eine Überraschung. »Ich? Wie, wie soll ich denn ...?« Ich sah Avgay’el an. Ihr dunkler Blick wirkte berechnend, weshalb ich mich fragte, was sie hiervon hatte, wieso sie hier war.
Yoav wandte sich ab und spazierte erneut im Zimmer herum. »Nur Blinde und Lahme gelangen hinein«, zitierte er.
Meine Haare stellten sich auf. Er wollte doch nicht vorschlagen, mir die Augen auszustechen und die Knochen zu brechen? Instinktiv wich ich einen Schritt zurück.
»Pass auf, dass dir die Augen nicht aus dem Kopf fallen«, meinte er mit einem Blick über die Schulter. »Ich habe Gerüch-te von einem Wasserlauf gehört, der von außerhalb der Mauern bis zum Stadtbrunnen führen soll.«
»Ein Wasserlauf?« Ich versuchte irgendeinen Sinn in seine Worte zu bringen.
»Eine Frau und nur eine Frau darf zum Brunnen gehen«, erklärte mir Avgay’el.
Mir fiel der Krug ein, den ich den ganzen Nachmittag mit mir herumgeschleppt hatte. »Was hat das mit mir zu tun?«
Yoav fuhr sich mit dem Finger über den Schnurrbart. »Du bist eine Frau, eine schlaue Frau.«
Mir war durchaus bewusst, dass er mit seiner Schmeichelei etwas erreichen wollte, dennoch wurden mir die Wangen heiß.
»Und außerdem habe ich, was du begehrst.« Breitbeinig und mit durchgestreckten Schultern baute er sich vor mir auf, wodurch die perfekten Proportionen seines Körpers klar erkennbar wurden. »Deine Freiheit.«
»Ich verstehe dich nicht.« Ich gab mir alle Mühe, ruhig zu erscheinen.
»Wenn dein Gemahl heimkehrt, wird er freigelassen.«
Ich schwieg.
»Dies ist die Gelegenheit für dich, ebenfalls freizukommen.«
»Du willst, dass ich nach Jebus gehe?«, fragte ich. »Als Brunnenmagd?«
»Ken.«
»Um was zu tun?«
»Um mir die Stadt auszuliefern.«
»Ich soll die Wachen überwältigen? Die Stadttore öffnen?« Hoffentlich war mir anzuhören, was ich von seinem Vorschlag hielt. »Als Frau und ganz allein - du musst verrückt sein!«
Seine grünen Augen blitzten mich an. »Hüte deine Zunge, Isha. Sonst wird sie dich noch in Schwierigkeiten bringen.«
Du bist eine Sklavin, Chloe. Eine Sklavin. S-k-l-a-v-i-n.
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