Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
aufgegessen hätten. RaEm schluckte schwer und rief sich ins Gedächtnis, dass er Pharao war und sie von ihm nur geduldet wurde; selbst wenn sie Mitregent war, konnte sich dieser Status von einem Wimpernschlag auf den nächsten ändern. Aii, wie
hatte das geschehen können?
Stattdessen hatte sie ihm in einem weiteren Brief ihren Körper versprochen, während sie im Geist nach einem Plan, einem Ausweg suchte. Früher einmal wäre es ihr gleich gewesen, ob alles um sie herum verhungerte und starb, solange es ihr nur gut ging. Doch dann war sie an einem anderen Ort und in einer anderen Zeit erwacht, in panischer Angst vor dem Dunkel, blutbesudelt und um ihr Leben bangend.
Aus dem Beutel auf ihrem Rücken hatte sie nichts zu Tage gefördert, was sie begriffen hätte. Eine sprechende Kiste, aber wie konnte darin ein Mensch sitzen? Ein dicker Packen Papyrus, aber viel besser gehämmert, als sie es je gesehen hatte. Etwas Längliches, das essbar roch und behauptete, ein MARS zu sein.
Sie konnte die Worte zwar lesen, doch sie verstand sie nicht.
Als sie die runde, flache Schachtel aufklappte, wurden ihre schlimmsten Albträume wahr. Aus dem Inneren hatte sie ein Kheft, ein Dämon, angestarrt, mit rotem Haar, das flammengleich um ein papyrusweißes Gesicht wehte, und hervorstehenden braunen Augen unter blutfleckigen Brauen.
Mittlerweile war RaEm endlich wieder in Ägypten zurück und berührte ihre Haut, um sich zu vergewissern: braun. Ihr Schädel war geschoren, doch ihre Brauen waren schwarz.
Sie war in Sicherheit. Vorübergehend von Echnaton verbannt, doch in Sicherheit.
Damals jedoch hatte sie befürchtet, im Jenseits gelandet zu sein, und kreischend den Kreis fortgeschleudert, um in der Dunkelheit zusammengekauert auf das Zupacken der Fänge und Krallen zu warten.
»Schon okay«, hatte sie in ihrem Geist durch das heftige Zittern hindurch vernommen.
Nichts war passiert. Sie hatte über ihre Arme geschielt. Der Kheft war ihr nicht nachgekommen. Dicht an den Boden gepresst war sie näher an die runde, flache Schachtel gekrochen, um festzustellen, ob der Kheft darin gefangen saß oder ob er freigelassen worden war. Sie sah nichts außer der Decke und einem Licht, das aus einer fernen Öffnung hereindrang. Nachdem sie die Schachtel umkreist und festgestellt hatte, dass keine Gefahr mehr drohte, hatte sie die Hand danach ausgestreckt, um sie zu schließen -
Der Kheft war zurückgekehrt! Keck starrte er sie an. RaEm schrie auf und knallte die Schachtel zu, um den Dämon darin einzusperren. Dann blickte sie auf ihre Haut. Der Dämon hatte sie mit Pocken angesteckt! Überall an ihren Armen sprossen braune und dunkelrosa Pünktchen. Sie sah auf ihre Beine; die waren ebenfalls befallen! »Hathor!«, hatte sie gebrüllt.
RaEm war in Chloes Welt nie heimisch geworden. Selbst nachdem sie erfahren hatte, dass die sprechende Kiste ein »CD-Player« war; dass ein MARS eine Süßigkeit und ein »Snack« war; dass der »Dämon«, den sie erblickt hatte, lediglich ihr Spiegelbild in einer Puderdose von Estee Lauder gewesen war - selbst da fühlte sie sich noch verloren.
Ganz langsam waren die Begriffe in ihren Verstand gesik-kert, doch waren sie schwer zu verstehen, da ihr jede rationale Erinnerung fehlte, da sie keine Ahnung hatte, wie sie das Gehörte mit irgendetwas verknüpfen sollte, das sie kannte. Alles war hier größer und komplizierter. Selbst die Menschen und ihre eigenen emotionalen Erinnerungen verwirrten sie.
Schließlich hatte sie sich in Chloes Leben zurechtgefunden, doch es hatte Monate gedauert, bis sie »Die Zukunft« begriff. Nie zuvor hatte sie einen Gedanken an »Die Zukunft« verschwendet ... es gab keine Zukunft, nur die Gegenwart und danach das Jenseits.
Dass sie in einem Krankenbett gefangen und von hilflosen Ärzten umzingelt war, die ihr Fragen stellten, auf die RaEm keine Antwort geben konnte - »Warum sind Sie in Ägypten?« »Wo befindet sich Ihr Vater jetzt?« »Nehmen Sie den Stift und zeichnen Sie etwas für mich« -, machte alles nur noch schlimmer. Sie wurde von grauenvollen Albträumen gequält; wenn sie die Augen schloss, erwachte sie jedes Mal schreiend. Und wenn sie erwachte, wurden jedes Mal ihre schlimmsten Albträume wahr. Sie war zum Kheft geworden!
Schließlich waren die Krankenschwestern ihrer überdrüssig geworden. Sie »schalteten« die schwarze Kiste an der Decke »ein« und ließen sie allein. Sie konnte sie nicht ausschalten; sie kam nicht einmal hinauf, wenn sie sich
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