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Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Titel: Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Wegbeschreibung klang wie aus »Tausendundeiner Nacht«!
    »Er ist tief und lang und sehr kühl, was nachmittags ausgesprochen angenehm ist. Er zieht sich immer weiter nach unten hin, bis du zu den Stufen kommst. Dort musst du aufpassen, sie sind sehr rutschig.« Ihre Knopfaugen musterten mich kurz ab. »Nimm dich in Acht, auch wenn du jung bist.« Sie seufzte erneut und voller Trauer. »Wir haben kein Leben in Jebus. Keine Kinder, kein Geschrei auf den Straßen, niemand spielt in den Parks.« Sie seufzte noch mal und wandte sich wieder mir zu. Offenbar war sie mit ihrer Wegbeschreibung noch nicht fertig.
    »Die Treppe geht im Kreis herum und reicht bis zum Wasserspiegel hinab. Unten ist nicht viel Platz, und man muss oft Schlange stehen. Hab Geduld und komm dann zu mir zurück. Sobald ich mein Wasser habe, kannst du nötigenfalls zum Brunnen zurückgehen und neue Aufträge annehmen.«
    Diese Reise mehr als zweimal am Tag? Ich würde Proviant mitnehmen müssen! Mein Gott, wenn diese Stadt nicht uneinnehmbar war! Ich hoffte nur, dass ich mich nicht verlaufen würde. Vielleicht würde Yoavs Plan ja doch nicht klappen? Natürlich musste er klappen, sonst würde ich sterben - ich hatte keinen Zweifel, dass er seine Drohungen wahr machen würde. Seufzend nahm ich meinen Wasserkrug hoch und marschierte zurück in Richtung Tor.
    Die Sonne begann die Stadt zu erhellen, die obersten Stockwerke auszubleichen und dem kalten Stein Wärme einzuhauchen. Ich sah zum Himmel auf; es war wichtig, dass ich allein am Brunnen sein würde. Würde ich es schaffen, den Frauen zuvorzukommen? Oder sollte ich bis zum späten Nachmittag warten? Nein, damit würde ich zu viel Aufmerksamkeit auf mich ziehen.
    Mit größeren Schritten folgte ich gewissenhaft dem beschriebenen Weg: durch die Rehovim, die Straßen.
    An den Waffenschmieden vorbei; dann an den Metzgern und
    Bäckern; scharf nach links und durch ein schweres Tor.
    Unterwegs sah ich nicht ein einziges Kind.
    Moment mal. Das war es, was hier fehlte oder eher, wer hier fehlte. Nachdem ich in Yeladim jeden Alters geradezu ersoffen war, sah ich plötzlich nur noch Erwachsene. Keine Kinder? Wie war das möglich? Wie konnte es in einer Stadt keine Kinder geben? Ich war so mit meinen Gedanken beschäftigt, dass ich geradewegs an den Wachposten vorbeispazierte.
    »Halt!«, rief einer. Ich ging weiter, ganz auf den fehlenden Nachwuchs konzentriert.
    »Halt, habe ich gesagt!«, brüllte er und setzte mir nach.
    Er baute sich vor mir auf, und ich musste mein ganzes Talent aufbieten, den Krug nicht fallen zu lassen. Den Blick hielt ich zu Boden gesenkt; bei den Jebusi genossen die Frauen weniger Freiheiten als bei den Stämmen.
    »Arbeitest du heute hier?«, fragte er.
    Ich nickte.
    Er klopfte gegen meinen Krug.
    »Holst du Wasser für die Frauen aus dem Dorf?«
    Ich nickte wieder, woraufhin er gegen den Krug pochte.
    »Bezahlen dich die Frauen aus dem Ort?« Wieder pochte er gegen meinen Krug. Allmählich machte ich mir Sorgen um meinen Krug.
    »Ken!«, rief ich und brachte meinen Krug außerhalb des Pochradius in Sicherheit.
    »Pass nur auf, dass du bei Anbruch der Nacht wieder weg bist.« Er wandte sich ab. Ich hörte ihn etwas von »pelestischem Abschaum« brummeln. Noch einmal drehte er sich um. »Mach so schnell du kannst«, sagte er. »Ich warte auf dich.«
    Derart verabschiedet, setzte ich meinen Weg zum Brunnen fort. Die Anlage wurde streng bewacht. Das war nicht gut. Waren alle Soldaten so fit und aufmerksam? Ich hatte noch keinen einzigen Wachposten gesehen, den zu viele Süßigkeiten und Kaffee aufgeschwemmt hatten. Im Grunde waren sie nicht zu
    besiegen; hinter ihren dicken Mauern, mit ihren erstklassigen Rüstungen und Waffen, geschmiedet von Menschen, die sich auf ihr Handwerk verstanden.
    Würde ich die Sache noch hinbiegen können?
    In modriger und klammer Kälte zog sich die Wendeltreppe zum Brunnen nach unten. Bei jeder Stufe spürte ich, wie die Muskeln in meinen Beinen protestierend aufschrien. Auf dem Rückweg alles wieder hochzusteigen, und zwar mit zwanzig Kilo Wasser auf der Schulter, war praktisch Mord. Ich stöhnte bei dem Gedanken, dass ich mich auf mehrere Tage dieser Tortur eingelassen hatte.
    Selbst mit Übung würde ich nie wieder die Alte werden.
    Frauen auf dem Weg nach oben kamen an mir vorbei, teils allein, meist aber in Dreiergruppen. Die Frauen der Jebusi trugen, was ich immer als Bibelstil bezeichnet hatte: Gewänder ohne Schnitt und praktisch ohne Farbe oder

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