Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
Muster. Im Grunde waren es in der Mitte zusammengeschnürte Leinensäcke mit Ärmeln.
Eines war mir bei den Stämmen aufgefallen, nämlich dass Männer wie Frauen sich dort nach der letzten Mode kleideten. Die Frauen trugen keine Schleier, und die verwendeten Stoffe waren bunt und gut gewebt. Am auffälligsten war jedoch, vor allem nach meinen Erfahrungen in Ägypten, dass die Kleidung individuell zusammengestellt war.
Ich hatte den untersten Treppenabsatz erreicht und blinzelte in die Dunkelheit. Wasserplätschern verriet mir, dass der Brunnen hier war. Vor mir füllten in einer Schlange wartende Frauen ihre Krüge. Ich konnte sie nur mit Mühe erkennen, da der Raum lediglich von zwei Fackeln erhellt wurde.
Wir schlängelten uns aneinander vorbei, während eine Gruppe oder Frau nach der anderen die Krüge füllte und dann die Treppe wieder hochstieg.
Neben dem Brunnen saß behäbig ein Jebusisoldat, der gemütlich vor sich hinschnitzte und ab und zu den Blick über uns
wandern ließ. Der faule Sack!
Als sich meine Augen an das Licht gewöhnt hatten, erkannte ich das System der Anlage. Der Brunnenschacht war mit einer etwa sechzig auf hundertzwanzig Zentimeter großen Holzplatte versiegelt. Diese hölzerne Abdeckung war mit Kupferbolzen, dick wie mein Handgelenk, im Stein verankert. Innerhalb der großen Holzplatte war eine kleine Öffnung ausgeschnitten -das Loch zum Wasserholen. Man brauchte nur dieses Loch zu schließen und niemand würde ahnen, dass sich hier ein Brunnen befand.
Das Schlimmste an der ganzen Sache war, dass die innere Aussparung etwa zwanzig auf zwanzig Zentimeter maß - durch dieses Loch gelangte nicht mal eine gut genährte Ratte! Ich bemerkte, dass es einen Extraeimer zum Wasserziehen gab, aus dem man das Wasser in sein eigenes Gefäß schüttete, um es dann wieder nach oben zu schleppen.
Es war vollkommen ausgeschlossen, dass jemand durch den Brunnen in die Stadt gelangte.
Ich war so gut wie tot.
Mir stiegen die Tränen in die Augen, denn mir wurde klar, dass mir nur noch ein einziger Ausweg blieb - ich musste nach Midian, um Cheftu zu suchen. Noch heute Nacht musste ich mich aus der Stadt schleichen, ehe jemand ahnen würde, was ich vorhatte. O Gott; ich stellte den Krug ab, damit ich ihn nicht fallen ließ.
Das Mädchen vor mir in der Schlange war vielleicht im sechsten Monat schwanger. Ich beobachtete, wie sie mit ihrem Krug kämpfte, ihn aber wegen ihres dicken Bauches nicht mehr hochbekam. Die anderen Frauen ignorierten sie, was mich zornig machte. Ich trat vor, hob den Krug hoch und half ihr stöhnend, das Gefäß auf ihrer Schulter auszubalancieren.
»Todah«, flüsterte sie, ohne meinen Blick zu erwidern.
Ich murmelte, das sei doch selbstverständlich, und machte ihr den Weg frei. Die Frauen aus der Stadt waren verstummt und beobachteten uns. Mir blieb fast das Herz stehen; schon jetzt taten mir die Arme weh. Ich starrte immerzu auf die winzige Öffnung; dies sollte der Eingang zur Stadt sein? Selbst wenn ich ein Jahr lang hungerte, würde ich da nicht durchpassen. Um ein Haar hätte ich losgeflennt. So idiotisch das auch war, ich hatte mir fast eingeredet, ich könnte es schaffen, ich könnte die Stadt einnehmen.
Mühsam füllte ich meinen Krug, Eimer um Eimer. Wie ich es bei anderen Frauen gesehen und auch geübt hatte, ging ich mit durchgestrecktem Rücken auf ein Knie. Dann wuchtete ich den Krug erst auf meinen Arm und danach auf die Schulter. Ängstlich darauf achtend, dass meine Knie nicht einknickten, stand ich wieder auf.
Und das Ding war nur halb voll? Ich taumelte vom Brunnen weg. Diese Qualen waren nicht auszuhalten.
Ich hoffte nur, dass mir die Schweißströme nicht im wahrsten Sinn des Wortes die Tarnung wegwuschen.
Nicht dass das einen Unterschied gemacht hätte.
Ich war so gut wie tot.
ACHETATON
Wieder stand der Priester vor Semenchkare: der Hohe Priester eines verstoßenen Gottes, jenes Gottes, der sie ironischerweise alle überleben würde. So schnell hatte sich alles geändert. Die Seuche hatte, so wie es aussah, den Hohe Priester des Atons ebenso dahingerafft wie Echnatons Enkelin, die ihm seine Tochter geboren hatte.
Diese zwei Toten im engsten Umkreis Pharaos hatten selbst die loyalsten Anhänger des Atons überzeugt, dass Echnaton den Sonnengott beleidigt hatte. Die Stadt in der Ebene leerte sich wie ein rissiger Krug, aus dem das Wasser sickert. Jedes Mal wenn man sich umsah, waren weniger Menschen um einen herum. RaEms schönster Traum lag
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