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Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Titel: Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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in sein wunderbares missgestaltetes Gesicht und erkannte, dass sie für ihn sterben würde. Und falls er starb - und das musste er, da Ägypten unter seiner Herrschaft nicht überleben konnte -, würde sie ebenfalls untergehen.

    9. KAPITEL
    Ich zog den Schleier über meinem Gesicht glatt und sah an den Mauern von Jebus hoch. Die Morgendämmerung war angebrochen und die Jebusi warteten hinter ihren offenen Toren auf die Händler. Ich rückte mein Tramperpack auf dem Rücken zurecht und schlurfte mit allen anderen vorwärts. Im Stadttor, das einen kleinen Raum bildete, saßen die Serenim. Wie in Ashqe-lon und Mamre musste man erst an den Stadtvätern vorbei und konnte dann seitlich durch einen zweiten Durchlass in die Stadt treten. Auf diese Weise blieb einem jeder Blick verwehrt, ehe man tatsächlich in den Straßen der Stadt stand. Jeder Besucher wurde angehalten, befragt und entweder tageweise in die Stadt gelassen, oder er bekam auf Grund der Fürsprache eines angesehenen Bürgers die Erlaubnis, als Gast zu übernachten, wenn er nicht gleich abgewiesen wurde.
    »Du. Isha. Was für Geschäfte bringen dich nach Jebus?«
    Praktischerweise sprachen die Jebusi dieselbe Sprache und sogar einen ähnlichen Dialekt.
    Ich deutete auf meine Visitenkarte - den verhassten Wasserkrug. Der Soldat war stämmig und muskulös, aber nicht fett, seine Uniform war sauber, sein Bart gekämmt, seine Rüstung glänzte. Seine professionelle Erscheinung machte mir nicht eben Mut.
    »Sprich!«, fuhr er mich an. »Du bist eine Brunnenmagd?«
    Ich nickte.
    »Bist du stumm?«
    Das war das Problem an der Sache, ich war nicht stumm, aber ich sprach mit dem falschen Akzent. Auch wenn es sich anhörte wie aus einem Dickens-Roman, so sprach ich doch »Nieder«-Akkadianisch. »Eine Witwe, Herr, auf dem Weg zu ihrer Familie. Doch leider sind sie arm und ich habe keine Mitgift.« Ich hielt den Blick gesenkt.
    »Tut mir Leid, Isha«, antwortete der Mann. »Du kommst aus der Küstenebene?«
    Ich nickte knapp.
    »Wie ist dein Mann gestorben?«
    »Die Hochländer«, ich spuckte aus, »haben meine Familie zerstört, sie haben meinen Vater, meinen Bruder und meinen Mann getötet.« Es machte mir keine Mühe, das mit ätzender Giftigkeit vorzubringen. Ich brauchte nur an Takala-dagon, Yamir ... und Wadia zu denken, den ich wahrscheinlich nie wieder sehen würde.
    Der Mann beriet sich mit einem zweiten Soldaten - einem weiteren gut frisierten, diszipliniert aussehenden Soldaten. Verflixt. Aber vielleicht beschränkte sich das ja auf die Soldaten in der vordersten Reihe? Vielleicht wollten sie damit Eindruck schinden? »Wer war dein Mann? Wie ist er gestorben?«, herrschte mich nun der zweite Soldat an.
    Ich erzählte ihnen meine Geschichte, bekam meinen Einlassschein in die Stadt und gesellte mich zu den anderen, die es durch die Kontrolle geschafft hatten.
    Die Wächter packten uns Tagesbesucher in den ersten Raum und ließen uns dann einzeln durch das kleinere Tor ein, bis wir blinzelnd in der Sonne standen. Ich spürte einen Schauer der Erregung, als ich drinnen war. In der Stadt Jebus.
    Die Stadt war aus Stein erbaut, der immer noch die Kühle der Nacht abstrahlte. Eine Art Abwasserkanal verlief in der Mitte der zu beiden Seiten gepflasterten Straße. Die Häuser hockten dicht nebeneinander und aufeinander, und überall gab es Treppen. Die Stadt begann hier unten und erklomm dann, durch kleine Treppen verbunden, eine Stufe nach der anderen bis hoch zur Hügelkuppe. Ich sah Bäume über die Dächer lugen und roch die ersten aufspringenden Geißblatt- und Rosenblüten. Die Stadt war weiß, sie war sauber, sie war prachtvoll!
    Und das war Jerusalem?
    Ich sagte das nicht, weil ich mir weniger erwartet hätte, sondern weil die Wirklichkeit nur in den seltensten Fällen der Propaganda gerecht wird. Stonehenge ist klein, der Turm von Pisa ist gar nicht so schief, und das Parthenon liegt über die gesamte Akropolis verstreut wie ein Puzzle.
    Jerusalem war wirklich wunderschön.
    Die Kaufleute hatten noch nicht zu handeln begonnen; selbst für sie war es noch früh. Ich kam auf den vom Tau glatten Steinen ins Stolpern, ging aber immer weiter. Es kostete mich Mühe, meine Gedanken von den gewundenen Efeuranken, die alle Wände schmückten, von dem azurblauen Himmel über mir und der schmerzlichen Leere in mir abzulenken und auf die Stadt zu richten. Auf den Grund meines Hierseins. O Mann, Chloe. Wasser. Brunnen. Tot oder stumm. Wach auf.
    Wo befand sich der

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