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Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Titel: Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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lassen. Und mir damit ein Zeitfenster öffnen.
    Wir hatten Vollmond, was mir die Reise erleichtern würde. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich Waqi im Stich lassen musste, die ein wahrer Schatz war und Besseres verdient hatte. Doch wenn ich blieb, würde ich sie verraten müssen, genau wie Shamuz am Brunnen und Yorq, die mir Brot verkaufte. Sie alle waren wirkliche Menschen, dies war kein Spiel, dies war kein Computerkrieg. Ich brachte es einfach nicht übers Herz, sie zu verraten.
    Darum würde ich mich aus der Stadt schleichen. Mit geschnürtem Bündel behielt ich von meinem Zimmer aus die Straße im Auge. Heute Nacht war eine Menge los, unzählige Menschen eilten mit kleinen Lampen hin und her. Traurig warf ich meinen Umhang über und schlich die Treppe hinunter. Draußen ging ein Wind; er fühlte sich wunderbar an, so ungestüm und frei, als könnte er mich hochwehen und irgendwo anders wieder absetzen.
    Ich hätte fast alles dafür gegeben, Cheftus Hand in meiner zu spüren und mit ihm gemeinsam den Abend zu genießen. Nachdem ich die Tür hinter mir zugezogen hatte, eilte ich durch die Straßen, immer im Schatten bleibend, wie ich hoffte. Auf meinem Weg fielen mir dutzende von schaukelnden Lichtern auf, ein stetiger Fluss, der durch das Mülltor aus der Stadt talwärts strömte. Die Menschen gingen ins Tal? Mitten in der Nacht?
    Bizarr. Im Altertum standen die meisten Menschen mit der Sonne auf und gingen auch mit ihr zu Bett. Die Tage waren lang und hart; sie hatten die Ruhe dringend nötig. Ganz zu schweigen von den Ängsten vor den vielen Gefahren, die einem in der Nacht drohten. Was wurde hier gespielt? Sie wollten doch bestimmt nicht alle aus der Stadt fliehen?
    Innerlich jubilierend ging ich durch das Mülltor hinaus, wobei ich die vielen Abfallhaufen umging - der Grund dafür, dass dieses Tor als Mülltor bezeichnet wurde. Ich war frei! Auf dem Weg den steilen Hügel hinab blies mir der Wind den Umhang aus dem Gesicht und fuhr mir unter die Röcke. Ich hielt einen Moment inne und sah mich noch einmal um, um einen letzten Blick auf Jerusalem zu werfen: Es kam mir so vor, als würde die Stadt von tausenden Glühwürmchen erhellt; in den Fenstern brannten Lampen, an den Mauern waren Fackeln angezündet worden, in den Toren loderten Kohlenpfannen. In der Luft lag der schwere Duft von Geißblatt, Rosen und Kräutern.
    Vorsichtig den felsigen Untergrund abtastend, suchte ich mir einen Weg durch die immer schwärzer werdende Finsternis. Es war still, und die vielen Lichter, die ich anfangs gesehen hatte, waren verschwunden. Je tiefer ich ins Tal hinabstieg, desto weniger spielte der Wind mit mir und desto schwerer wurde der Duft der Blumen.
    Als ich die Abzweigung zur Talsohle hinunter passierte, weil ich lieber auf der Straße nach Yerico bleiben wollte, hörte ich eine Art Schrei. Ich blieb kurz stehen und nahm dann den Weg in Richtung Süden.
    Noch während ich abbog, schlug mir Gestank entgegen.
    Ein widerwärtiger Gestank nach verkohlendem Fleisch. Er überdeckte den Duft der Zitrusblüten, das Geißblatt und sogar den leichten Hauch nach Immergrün von den Hügeln.
    Luft in mein Gesicht fächelnd, beschleunigte ich meine
    Schritte, bis ich um eine Ecke bog. Und dann sah ich, woher der Gestank kam.
    Etwa zwanzig Meter unter mir brannte am Grund einer schmalen Schlucht ein Feuer. Ein paar Schritte davon entfernt standen dicht gedrängt unzählige Lampen - die Menschen, die so plötzlich verschwunden waren? Was ging hier vor? Ein tiefes Summen wie aus der Carmina Burana stieg zu meinem Pfad herauf.
    Neugierig wagte ich mich ein paar Schritte nach unten, um mir die Sache näher anzusehen. Nur langsam passten sich meine Pupillen den grell aus der Dunkelheit leuchtenden Flammen an.
    Vor meinen Augen drängten die Menschen immer näher an das Feuer heran. Schließlich näherte sich eine einzelne Gestalt, die jemand anderem einen Gegenstand überreichte. Ich kniff die Augen zusammen. Der Rauch, der Gestank, der meine Kehle verklebte, und der gespenstische Gesang wirkten geradezu surreal. Dann warf die zweite Gestalt, die den Gegenstand entgegengenommen hatte, etwas ins Feuer. Etwas Kleines. Die erste Gestalt war wieder verschwunden.
    Verbrannten sie hier ihren Müll? Dem Gestank nach war das durchaus möglich. Ich presste die Hand auf die Nase und atmete durch den Mund. Schließlich mischte ich mich unter die Menge, weil mich interessierte, welcher Müll hier verbrannt wurde, dass sich so viele Menschen

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