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Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Titel: Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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darum versammelten. Unter dem Singen hörte ich ein hysterisches Schluchzen und Flehen, auch wenn die Worte nicht auszumachen waren. Im Näherkommen erkannte ich, dass das Feuer nicht in einer Höhle, sondern im Bauch einer riesigen hässlichen Statue brannte.
    Ein zweiter Mensch näherte sich und überreichte dem Werfer ein kleines Paket. Ein weinendes Paket. Ein winziges Wesen.
    Alle meine Haare stellten sich auf.
    »Nein«, entfuhr es mir auf Englisch. »Nein!« Ich schlug mir die Hand über den Mund, wobei es gleichgültig war, ob ich es tat, um nicht zu speien oder um nicht laut zu schreien. Das nächste Bündel flog in die Flammen. Zwei Männer hielten eine Frau zurück, eine brüllende Frau. Der Wind wehte in meine Richtung, sodass ich ihre Worte verstand: »Lo! Nicht mein Kind! Nicht mein teures Lämmchen! Verflucht seid ihr! Lo, nicht mein Kind!«
    Sie opfern ihre Kinder, hörte ich im Geist Yoav sagen. Ich weiß nicht, wie die Frauen das aushalten, setzten mir Waqis Worte zu. Wenn mein Vater das nur gewusst hätte - o mein Gott. Und dies hier erwartete sie ebenfalls?
    Bemüht, keine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, setzte ich meinen Weg nach unten fort, entsetzt und strauchelnd und ohne recht begreifen zu können, was ich da gesehen hatte. Vor mir ging noch jemand, zum Glück mit leeren Händen.
    Eine verhüllte Gestalt näherte sich, überreichte dem Werfer ein Baby und taumelte dann zurück, während der Mörder das Kind über seinen Kopf erhob, den Himmel anrief und das Baby schließlich ins Feuer schleuderte!
    Die Gestalt vor mir knickte ein, wie ein Mantra »Lo« murmelnd. Ich war wie vom Blitz getroffen. Das hier hatte ich doch gewiss nicht, ganz gewiss nicht wirklich gesehen. Die Bilder wollten einfach keinen Sinn ergeben, obwohl der Geruch nach versengtem Fleisch, den ich zu meinem Leidwesen wieder erkannte, mir fast den Atem verschlug. Und nur allzu real war.
    Fast wäre ich über die Frau vor mir gestolpert. Sie quiekte auf, und ich sah nach unten. Sie versuchte wieder aufzustehen, war aber so dickbäuchig, dass sie es nicht schaffte. »Waqi«, flüsterte ich.
    Entsetzt sah sie auf. »Du gehörst auch dazu?«
    »Lo, lo«, sagte ich schnell.
    Weiteres Geschrei, weiteres Flehen hinter mir. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Sollte ich mich auf den Priester stürzen? Ich musste Waqi fortschaffen; ich war auf der Flucht aus der Stadt ... o Gott.
    Der Schrei eines Kleinkindes stieg zum Himmel auf und ging gleich darauf in den Gesängen der Betenden unter.
    »Zu unserem Schutz geben wir dir Blut.
    Um uns zu retten, geben wir dir unser Fleisch«
    Es war ein grässliches Lied.
    Ich kehrte zu Waqi zurück und half ihr auf. »Was tust du hier?«, flüsterte ich.
    »Ich musste es sehen, mit eigenen Augen sehen. Lieber würde ich mir das Leben nehmen als zuzuschauen, wie mein Kind stirbt.« Ihr Gesicht fiel in sich zusammen, und Tränenspuren glänzten im Licht der Flammen. »Seine ersten drei Frauen haben diesen Kummer nicht überlebt.«
    Sie war Abdas vierte Frau? »Wir müssen hier weg«, sagte ich. »Du kannst ihn noch heute Nacht verlassen.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Heute Nachmittag haben die Wehen eingesetzt. Mein Kind kommt schon.«
    Es gab bei weitem nicht genug Flüche in meinem Vokabular. Stattdessen hörte ich in meinem Kopf immer nur Prissys Geständnis aus Vom Winde verwebt. »Gibt es hier eine Hebamme? Eine weise Frau?«, fragte ich sie.
    »Wenn ich eine hole, werden sie es erfahren . ich kann das Kind nur schützen, indem ich behaupte, ich hätte es verloren.«
    Damit wären logistische Albträume verbunden, doch das war egal. »Wir gehen zurück in die Stadt.«
    Waqi hinter mir herziehend, drängelte ich durch die Menge.
    »Sie werden es erfahren, sie werden es erfahren«, beharrte sie.
    Ich schob meine Nase gegen ihre. »Wenn du versuchst, das Kind allein zu bekommen, wirst du sterben. Und das Kind ebenfalls. Wenn du eine Hebamme rufst und dir helfen lässt, dann können wir dich und das Kind vielleicht aus der Stadt schmuggeln, aber wenigstens werdet ihr beide überleben.«
    »Wohin wolltest du?« »Ich wollte gerade fliehen.«
    »Vor mir?«
    »Lo, du warst die Güte selbst zu mir. Ich habe -«
    »Du bist keine einfache Brunnenmagd, habe ich Recht?« Sie stützte sich auf mich und hatte ihre Finger in meine geschoben. Immer wenn die Wehen einsetzten, quetschte sie meine Hand, doch ansonsten ließ sie sich ihre Beschwerden nicht anmerken.
    »Lo«, sagte ich, »ich bin eine

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