Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
Spionin.«
Ihre Hand presste meine noch fester, und sie blieb kurz stehen. Als sie wieder sprach, kamen ihre Worte abgehackt. »Für wen?«
»Die Hochländer. Sie wollen eure Stadt einnehmen.«
Sie keuchte und brach mir praktisch die Finger. Ich spürte, wie ihre Beine neben meinen zu zittern begannen und sie alle Kraft aufbringen musste, um nicht einzuknicken. Ich sah zu der Stadt hoch, die ich eigentlich nie wieder sehen wollte. Sie war etwa vierzehn Lichtjahre von uns entfernt.
»Haben die Hochländer Kinder?«, fragte sie im Weitergehen.
»Ganze Heerscharen.« Ich schob meine Hand um ihre Taille, falls sie ins Stolpern kam.
»Ich wünschte, sie würden bald einmarschieren«, sagte sie. »Ich würde ihnen die Stadt sofort überlassen.« Ihr Griff wurde fester, doch sie kam nicht aus dem Schritt.
»Wieso tun sie das?« Der Gestank verschmorenden Fleisches brannte mir immer noch in der Nase; obwohl wir uns bereits der Stadt näherten, roch ich die Rosen nicht mehr.
»Zum Schutz. Jedes Kind, das sie Molekh geben, verwandelt sich in einen weiteren Dämonenwächter über die Stadt. Deshalb wurde die Stadt noch nie eingenommen.« Sie ging wimmernd in die Knie.
Ich sah mich um; wir befanden uns am Rand der Müllhalde -nicht gerade der ideale Platz, um ein Kind zur Welt zu bringen. »Komm, Waqi, nur noch ein kurzes Stück.« War irgendwo ein Wachposten? Während sie Atem schöpfte, suchte ich die Mauern, die Müllgrube, die Bäume um uns herum ab. »Hilfe!«, rief ich. »Ist da jemand?«
Waqi kreischte auf und schlug sich augenblicklich die Hand vor den Mund. Ich ging vor ihr in die Hocke. »Was ist? Werden die Schmerzen schlimmer?«
»Das Fruchtwasser«, keuchte sie. »Die Blase ist geplatzt.«
Ich stand auf und sah mich um. Nirgendwo regte sich etwas, kein Laut war zu hören. Der Rauch aus dem Tal überzog den Nachthimmel. Ich nahm den Dialekt an, in dem Yoav gelegentlich redete, und sprach laut und mit tragender Stimme: »Du hast gesagt, du würdest mich nicht aus den Augen lassen. Ich brauche deine Hilfe. Um Yahwes Liebe willen, steh uns bei!«
Bildete ich mir wirklich nur ein, dass ich Blicke auf mir spürte? Nichts regte sich. Ich kniete neben ihr nieder. »Leg deinen Arm um mich«, sagte ich. »Ich werde dich tragen.«
Ihren linken Arm über meine Schulter ziehend, richtete ich mich wieder auf. Sie war klein, aber schwanger und vor Schmerz halb besinnungslos. Wir hatten die Müllgrube zur Hälfte durchquert, als er uns in den Weg trat: der Soldat aus Mamre, der mir vor meinem ersten Treffen mit Yoav durch die Straßen gefolgt war. Ich wusste nicht einmal, wie er hieß. Wortlos nahm er sie hoch.
»Waqi«, sagte ich, ohne ihre Hand loszulassen. »Was sollen wir den Wachen sagen?« Der Soldat aus Mamre sah nicht aus wie ein Jebusi; vielleicht wie ein Pelesti?
»Heute Nacht gibt es keine Wachen«, keuchte sie. »Wir haben Molekhs Mond. Sie, sie -« Wieder schrie sie auf.
»Isha«, sagte er zu ihr. »Drück dein Gesicht in meinen Umhang, b’seder«
Waqi vergrub ihr Gesicht an seiner Brust. »Zeig uns den Weg, schnell«, sagte er. »Sie kann die Beine nicht länger zusammenhalten. Das Kind kommt gleich.«
Wir platzten durch die Tür des Hauses in der Rehov Abda.
Der Assyrer erfasste mit einem einzigen Blick die Situation und eilte uns unter ständigen Anrufungen Ishtars voran in Wa-qis Zimmer. Der Soldat legte sie auf der Strohmatte ab und sah mich an. Ich starrte mit großen Augen zurück.
»Keine Hebamme?«, fragte er.
»Das Kind wird sonst geopfert«, antwortete ich. Waqi war klatschnass vor Schweiß, darum zogen der Assyrer - der Um hieß - und ich sie aus, badeten sie und wickelten sie dann in trockene Tücher. Ihre Schenkel waren mit Blut verschmiert. Mir war elend zu Mute - was sollten wir nur tun? Der Soldat hatte uns den Rücken zugedreht und war mit irgendetwas beschäftigt.
Waqi schrie auf, weshalb wir eine weitere Decke über sie warfen. Uru eilte zu ihr und redete in einer mir unverständlichen Sprache auf sie ein. »Wo kann ich eine Hebamme finden?«, fragte ich die beiden. »Das ist unsere einzige Chance.«
Der Soldat drehte sich um und spießte Waqi mit seinem spektralblauen Blick auf. »Ich habe schon Lämmer, Kälber und Esel entbunden. Ich kann helfen, dieses Kind auf die Welt zu bringen, und es vor diesem blutrünstigen Gott retten.«
Ich sah auf Waqi, die still und schweißnass dalag. »Wie heißt du?«, flüsterte sie.
»Zorak ben Dani’el.«
Waqi kniff die Augen zu und
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